review of vol. 3 of Herbert Marcuse's unpublished works
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Forschung Frankfurt 1/2004, S. 68

War die Befreiung der Welt von Repression greifbar nahe?

Philosophie und Psychoanalyse: Herbert Marcuse und seine Interpretation der Freud'schen Psychoanalyse

scanned image of Frankfurter Forschung review of vol. 3Da die Psyche nicht isoliert in einem privaten Dasein besteht, sondern von gesellschaftlichen Prozessen maßgeblich beeinflusst wird, ist es nicht möglich, die Psychologie als Disziplin streng von der Soziologie zu trennen. Das Spannungsfeld zwischen Trieb- und Gesellschaftsstruktur - und nicht ein innerpsychischer Konflikt - ist die Wurzel seelischer Erkrankung. Diese Erkenntnis brachte Herbert Marcuse (1898-1979), den Mitbegründer der Kritischen Theorie der Gesellschaft, dazu, sich eingehend mit der Psychoanalyse Freuds zu beschäftigen. Anders als Erich Fromm, der Soziologie und Psychologie unter dem Primat des historischen Materialismus synthetisiert und dabei zu der hoffnungslosen Diagnose einer stabilen, wenngleich ungerechten, Klassengesellschaft gelangt, sieht er die traditionellen Grenzen zwischen den Disziplinen immer mehr verwischen und stellt die Möglichkeit einer Befreiung von Unterdrückung und Elend in Aussicht.

Philosophie und Psychoanalyse, der dritte Band der nachgelassenen Schriften Herbert Marcuses, umfasst erstmals in deutscher Sprache erhältliche Schriften und Vorträge zu seiner Interpretation der Freud'schen Psychoanalyse sowie zu seiner psychologischen Betrachtung der Gesellschaft. Eine ausführliche einleitende Studie über Marcuses politische Dechiffrierung der Psychoanalyse von Alfred Schmidt, dem ausgezeichneten Kenner der Kritischen Theorie, ermöglicht eine Einordnung Marcuses in philosophiegeschichtlichem Rahmen und gibt einen Einblick in dessen "Geschichtsphilosophie", die sowohl aus der Triebtheorie Freuds hervorgeht als auch von Marx inspiriert ist. Zu Recht betont Schmidt auch Marcuses Bemühen um Glück und Freiheit in einer materialistischen -- und nicht transzendentalen -- Hinsicht. Ist es doch ein zentraler Aspekt, dass dieser, im Gegensatz zu Freud, das ideal einer nichtrepressiven Kultur in Aussicht stellt. Schmidt versteht es ausgezeichnet, die politische Psychologie des Hauptvertreters der Freud'schen Linken darzustellen, die sich mit einer psychologischen Analyse der Kultur und mit triebtheoretischen Problemen von Gesellschaftsprozessen auseinandersetzt.

Der Einleitung von Schmidt schließen sich bedeutende Texte aus Marcuses Nachlass an, die Themen der Gesellschaft in philosophischer und psychoanalytischer Hinsicht kritisch betrachten. So kritisiert Marcuse etwa in Freiheit: zu oder von, der Niederschrift einer Radiosendung aus dem Jahre 1964, die hoch entwickelte Industriegesellschaft. Sie verfüge zwar über die Möglichkeiten, ökonomische, politische und intellektuelle Freiheit zu gewähren, sei aber nicht in der Lage, diese zu verwirklichen. Denn ihre Herrschaftsformen "organisieren technischen Fortschritt und wachsende Produktivität zu einem unentrinnbaren System, in das Opposition und Widerspruch integriert werden, und in dem Pluralismus und selbst Demokratie ihre Dynamik verändern und aus kritischen zu affirmativen Institutionen werden". Die greifbar nahe liegende Befreiung der Welt von Repression hat Marcuse an anderer Stelle als Ende der Utopie bezeichnet. Diesem Gedanken bleiben auch Jenseits des Realitätsprinzips und das Politische Vorwort zur Taschenbuchausgabe von Eros and Civilization verpflichtet. Während Freuds Unbehagen darin begründet liegt, dass der Konflikt zwischen den Bedürfnissen des Individuums und den Forderungen der Gesellschaft unauflösbar ist, strebt Marcuse danach, das Spannungsfeld aufzuheben. In seiner "Kultur der Sinnlichkeit" steht die vernünftige Ordnung der Gesellschaft nicht der Triebbefreiung entgegen. Jenseits eines repressiven Leistungsprinzips kann sich die Libido verwandeln "von der unter dem Genitalprinzip organisierten Sexualität zur Erotisierung der gesamten Persönlichkeit, Triebbefreiung ist nicht Explosion, sondern Selbstausbreitung der Libido, -- Ausbreitung auf private sowohl wie gesellschaftliche Beziehungen".

Insgesamt stellt der Nachlassband Philosophie und Psychoanalyse eine Edition dar, die verschiedene zentrale Aspekte der Lehre Marcuses beleuchtet, wobei seine Sorge um den psychischen Zustand des Menschen in den fortgeschrittenen Industrieländern im Zentrum steht. Der Herausgeber, Peter-Erwin Jansen, macht das Textmaterial auch dem Leser, der sich in Marcuses Gesamtwerk nicht gut auskennt, leicht zugänglich. Neben seinem Vorwort leitet er jede Schrift gesondert ein im Hinblick auf ihren historischen, gesellschaftlichen sowie wissenschaftlichen Kontext.

Herbert Marcuse Philosophie und Psychoanalyse. Nachgelassene Schriften Band 3, herausgegeben von Peter-Erwin Jansen, Verlag Dietrich zu Klampen, Lüneburg, 2002, ISBN 3-924245-851, 233 Seiten, 24 Euro.

Die Autorin. Dr.Yvonne Thorhauer studierte Betriebswirtschaftslehre an der European Business School in Oestrich-Winkel und promovierte im Anschluss daran an der Universität Frankfurt am Fachbereich Philosophie. Im Sommersemester 2004 ist sie als Lehrbeauftragte der Johann Wolfgang Goethe-Universität tätig.


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