Archive copy of quotations
from the U3000 MTV series website

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copy on the marcuse.org/herbert website

Schlingensief Entertainment, which produced an 8-part series for MTV called U3000 (Nov. 2000-Jan. 2001), has a page of quotations from Konterrevolution and Revolte [archived below, or link], a biographical page, as well as an essayistic discussion with lots of quotations [archived below , or link].
Show 2 was dedicated to Rudi Dutschke (bio page).

The site also has substantial text passages (in German) from Herbert's 1965 essay Repressive Tolerance [link].


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Aus: Herbert Marcuse, Konterrevolution und Revolte, Frankfurt a.M. 1972,
Edition Suhrkamp SV, ISBN 3-518-00591-X (600)

Die Konterrevolution ist weitgehend präventiv; in der westlichen Welt ist sie das ausschließlich. Hier gibt es keine neuere Revolution, die rückgängig gemacht werden müßte, und es steht auch keine bevor. (S. 8)

Ohne diese mörderische Konkurrenz könnte der Sozialismus die Fetischisierung der „Produktivkräfte“ überwinden. (S.9)

Die herrschenden materiellen Bedürfnisse und Befriedigungen werden geprägt- und kontrolliert- durch die Erfordernisse der Ausbeutung. (S.9)

Das Gesetz des kapitalistischen Fortschritts liegt in der Gleichung: technischer Fortschritt = wachsender gesellschaftlicher Reichtum (wachsendes Bruttosozialprodukt) = größere Knechtschaft. Die Ausbeutung rechtfertigt sich damit, daß die Warenwelt und das Angebot an Dienstleitungen sich ständig vermehren - die Opfer gehören zu den laufenden Unkosten, zu den „Unfällen“ auf dem Weg zum guten Leben. So ist es kein Wunder, daß dort, wo die kapitalistische Technostruktur noch einen relativ hohen Lebensstandard und eine gegen öffentliche Kontrolle faktisch immune Machtstruktur ermöglicht, die Bevölkerung dem Sozialismus interesselos, wenn nicht gar feindlich gegenübersteht. (S.10)

...: der Sozialismus erscheint nicht mehr als die bestimmte Negation des Kapitalismus. Konsequenterweise lehnt diese Politik die revolutionäre Strategie der Neuen Linken ab und muß sie ablehnen, eine Strategie, die auf einem Begriff von Sozialismus beruht, der den Bruch - und zwar von Anbeginn - mit dem Kontinuum der Abhängigkeit beinhaltet: das Entstehen der Selbstbestimmung als Prinzip des Umbaus der Gesellschaft.(S.11)

Zusammenfassend kann man sagen: der höchsten Stufe der kapitalistischen Entwicklung entspricht in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern ein Tiefstand revolutionären Potentials.(S.11)

Die innere Dynamik des Kapitalismus verändert mit der Struktur des Kapitalismus auch die der Revolution: weit davon entfernt, die potentielle Massenbasis für eine Revolution zu schmälern, verbreitet sie sie vielmehr und erheischt das Wiederaufleben der radikalen an Stelle der minimalen Ziele des Sozialismus. (S.12)

An der Basis der Pyramide herrscht Atomisierung. Diese verwandelt das ganze Individuum - Körper und Geist - in ein Instrument oder gar in den Teil eines Instruments: aktiv oder passiv, produktiv oder rezeptiv, in seiner Arbeits-wie Freizeit dient es dem System. (S.21)

Die Bevölkerung steht den Radikalen, den beliebten Zielpunkten gerichtlicher Verfolgungen und anderer Schikanenen, äußerst feindselig gegenüber. Aber dieser Tiefstand revolutionären Potentials auf dem Höhepunkt der kapitalistischen Entwicklung ist trügerisch: die Täuschung verschwindet, sobald wir begreifen, daß sich auf dieser Stufe eine neue Form der Desintegration und Revolution herausbildet, die der neuen Phase des Kapitalismus: dem staatsmonopolistischen Kapitalismus, entspricht und von ihr hervorgebracht wird. Diese Einsicht erfordert nicht etwa eine Revision der Marxschen Theorie, sondern ihre Wiederherstellung: die Emanzipation von ihrer Fetischisierung und Ritualisierung, von der versteinerten Rhetorik, die ihre dialektische Entwicklung verhindert.(S.39)

Im gegenwärtigen Stadium ist die Neue Linke zwangsläufig und wesentlich eine intellektuelle Bewegung, und der in ihren eigenen Reihen praktizierte Anti-Intellektualismus arbeitet dem Establishment in die Hände.(S. 43)

Die Marxsche Theorie bleibt die Richtschnur dern Praxis, selbst in einer nicht-revolutionären Situation. Aber hier wird eine andere Schwäche der Neuen Linken deutlich: die Verzerrung und Verfälschung der Marxschen Theorie durch deren Ritualisierung.(S. 43)

Die Reduktion der Marxschen Theorie auf feste „Strukturen“ scheidet die Theorie von der Wirklichkeit und verleiht ihr einen abstrakten, distanzierten, „wissenschaftlichen“ Charakter, der ihre dogmatische Ritualisierung erleichtert.
(S.44)

Die Einheit von Theorie und Praxis besteht niemals unmittelbar. (S.45)

Die jeweilige Wirklichkeit ist vorgegeben; sie bsteht aus eigener Kraft: sie ist der Boden, auf dem sich die Theorie entwickelt, und doch auch das Objekt, „das Andere der Theorie“, dessen Veränderungen die Theorie weiterhin determinieren.
(S.45)

Nicht die Arbeiterklasse, sondern die Universitäten und die Gettos stellten die erste wirklichen innere Bedrohung für das System dar.....Heute ist das System vorbereitet - und zwar so gründlich, daß schon das bloße Überleben der radikalen Bewegung als einer politischen Kraft in Frage steht. Wie reagiert die Bewegung auf diese neuen Verhältnisse?(S.47)

Die Linke war schon immer gespalten.(S.47)

Sie arbeiten unter einem offenen Horizont verschiedener Alternativen und Ziele, Strategien und Taktiken.(S.47)

....Ähnliches gilt für Begriffe wie „Proletariat“, „Ausbeutung“ oder „Veelendung“. Wer die Leute mit diesen Ausdrücken bombardiert, ohne sie in die gegenwärtige Situation zu übersetzen, wird ihnen die Marxsche Theorie kaum nahebringen können. Bestenfalls dienen diese Ausdrücke als Erkennungszeichen für Intim-Gruppen (Progressive Labor Party, Trotzkisten usw.); im übrigen wirken sie als bloße Klischees - das heißt überhaupt nicht.(S.49)

Heute steht jede Demonstration vor der stets gegenwärtigen (latenten?) Gefahr, unterdrückt zu werden; Eskalation ist dem Zustand immanent. Diese Gesellschaft ist bestrebt, der Opposition das Prinzip der Gewaltlosigkeit aufzuzwingen, während sie ihre „legitime“ Gewalt täglich perfektioniert und dadurch den Status quo schützt.(S.65)

Gegen vage, allgemeine, nicht greifbare Ziele gerichtete Aktionen sind sinnlos; schlimmer noch, sie mehren die Zahl der Gegner.(S.67)

„Der Klassizismus - stellen wir das ohne weitere Einleitung fest - repräsentiert für uns heute, wie schon immer, die Kräfte der Unterdrückung. Der Klassizismus ist das geistige Gegenstück zur politischen Tyrannei. Das war im Altertum so und in den Reichen des Mittelalters. Es wurde wiederbelebt in den Diktaturen der Renaissance und ist seitdem das offizielle Glaubensbekenntnis des Kapitalismus.“(S.109)

Als die Weißen die Musik übernahmen, fand ein bezeichnender Wandel statt; der weiße „Rock“ ist, was sein schwarzes Vorbild nicht ist, nämlich Veranstaltung. (S.134)

In mir streiten sich die Begeisterung über den blühenden Apfelbaum
Und das Entsetzen über die Reden des Anstreichers.
Aber nur das zweite
Drängt mich zum Schreibtisch. Bertolt Brecht (S.137)


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MARCUSE - NEU [back to top]
Herbert Marcuse: Wider die Obsznit�t des �berflusses
�Unser Bewu�tsein mu� sich �ndern!�

[archive copy from "Schlingensief's U3000 page", an MTV series]

Eine neue Sensibilit�t, mit deren Hilfe sich die moderne Technik zur freien Lebenskunst wandelt, bezeichnet Marcuse als eine Grundhoffnung seiner Gedankenwelt.

Der Philosoph und Mitbegr�nder der Kritischen Theorie verband Marx und Freud, die innere mit der �u�eren Befreiung. Die �Kraft der Verneinung� erkl�rte der geb�rtige Berliner und j�dische Antifaschist zur Grundlage einer �sthetik der Freiheit. Als geistiger Vater der weltweiten Studentenbewegung war der unorthodoxe Marxist in den sechziger Jahren bekanntgeworden und b��t in Zeiten permanenter Entpolitiserung, B�rsencrashs und gesellschaftlicher Lethargie nichts an Aktualit�t ein.

Vom Klassenkampf hielt der romantische Realist wenig, aber den idealistischen Studenten traute er zu, sich aus Ekel �ber die obsz�ne �berflu�gesellschaft mit den Ausgebeuteten, Ge�chteten und Arbeitsunf�higen zu solidarisieren. Als Guru f�r Revolutionsgl�ubige taugte Marcuse allerdings nicht, dazu kannte er die philosophischen Klassiker zu gut. Literatur und Philosophie studierte der Sohn aus gutem Haus in Berlin und Freiburg. Seine st�rkste Pr�gung erhielt er durch die Freiburger Ph�nomenologen Husserl und Heidegger. Als das Frankfurter Institut f�r Sozialforschung vor Hitler fliehen mu�te, ging auch Marcuse mit ins Exil und kam �ber Paris 1934 nach New York. 1940 nahm der Philosoph die amerikanische Staatsb�rgerschaft an, und 1954 wurde er an die Brandeis University berufen. Als einer der sch�rfsten Kritiker des Vietnamkrieges von der Universit�t entlassen, nahm Marcuse 1965 eine Professur in San Diego an.

Am 29. Juli 1979 ist Marcuse w�hrend eines Sanatoriumsaufenthalts in Starnberg gestorben.

Herbert Marcuse: Zum Begriff der Utopie

�Die fortgeschrittene Industriegesellschaft ist eine eindimensionale!�

Marcuse argumentiert, da� die Unterbindung sozialen Wandels durch eine durch Technik vermittelte politische und geistige Gleichschaltung der Menschen f�r die fortgeschrittene Industriegesellschaft charakteristisch sei. Ziel dabei sei, sozialen Protest zu unterbinden. Die Individualit�t der Menschen werde unterdr�ckt. Diese Gleichschaltung sei immer weniger mit direkter Gewalt und Zwang verbunden, sondern eine �konomisch-technische. Andererseits geht Marcuse aber davon aus, da� es durchwegs Kr�fte gibt, die "die Gesellschaft sprengen k�nnen" (Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Vorwort. 1967

Diese eindimensionale Welt sei das Gegenteil von einer freien, da eine solche eine Freiheit von �konomischer und politischer Kontrolle umfassen m��te. Erst dann w�re die Wiederherstellung eines individuellen Denkens m�glich. Freiheit im Sinn der freien Auswahl aus einem breiten Spektrum aus Waren und Dienstleistungen bedeute keine Freiheit, wenn diese Waren die soziale Kontrolle aufrechterhalten.

Die Menschen w�rden sich in den Waren wiedererkennen, sie w�rden f�r ihr Auto, ihren Hi-Fi-Empf�nger oder ihr K�chenger�t leben (Marcuse, 1967, S. 29). Durch die Manipulation des Geistes mit Hilfe der Technik, der Massenmedien und der Waren entsteht, so Marcuse, ein eindimensionales Denken und Verhalten:

"So entsteht ein Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens, worin Ideen, Bestrebungen und Ziele, die ihrem Inhalt nach das bestehende Universum von Sprache und Handeln transzendieren, entweder abgewehrt oder zu Begriffen dieses Universum herabgesetzt werden" (Marcuse, 1967, S. 32).

Die "h�here Kultur" (Oper, Konzert, Theater), so Marcuse, enthalte oppositionelle Elemente. Sie sei"die gro�e Weigerung - der Protest gegen das, was ist" (Marcuse, 1867, S. 83). Die gegenw�rtige Gesellschaft versuche diese Elemente zu beseitigen. Dies bezeichnet er als Entsublimierung(Marcuse, 1867, S. 76). Die Massenkommunikationsmittel w�rden die Transformation der Kultur zur Ware beschleunigen. Was z�hle, sei die Verkaufst�chtigkeit und der Tauschwert. Die Popularisierung der hohen Kultur setze deren M�glichkeit zur Opposition durch die Unterwerfung unter die Gesetze des Marktes au�er Kraft.

Marcuse hat prinzipiell nichts gegen die massenhafte Verbreitung von Kultur �ber Kan�le wie Fernsehen, Kino oder Radio einzuwenden, er betont jedoch, da� diese "Kulturmaschine" eine ideologische Funktion im Kapitalismus erf�lle:

"Es ist gut, da� heute fast jeder die sch�nen K�nste in den Fingerspitzen haben kann, indem er einfach an einem Knopf seines Radios dreht oder ins n�chste Kaufhaus geht. Bei dieser Verbreitung werden sie jedoch zu Zahnr�dern einer Kulturmaschine, dieihren Inhalt ummodelt" (Marcuse, 1867, S. 85).

�hnlich wie Adorno argumentiert also Marcuse, da� die Kulturindustrie die Menschen manipuliere, ihr Bewu�tsein einschr�nke und sie ohnm�chtig h�lt. Sie schr�nke das Denken der Menschen in dem Sinn ein, da� die Spannung zwischen Ersehntem und Erlaubtem verloren gehe. Das Ersehnte sei das Erlaubte, also der Konsum kulturindustriell aufbereiteter Waren. Das Bed�rfnis nach Sublimierung werde so verringert, das kritische und oppositionelle Denken au�er Kraft gesetzt. Der Mensch werde darauf pr�pariert, das Gebotene passiv hinzunehmen. Sublimierung k�nne das wahre Bewu�tsein und das Bed�rfnis nach Befreiung erhalten. Was den Menschen durch die Kulturindustrie pr�sentiert werde, sei zwar manchmal wild, obsz�n, deftig, unmoralisch und m�nnlich und genau deshalb harmlos.

Auch die Sprache sei im Sp�tkapitalismus eindimensional. Attribute wie "Freiheit", "Gleichheit" und "Demokratie" w�rden z.B. zur Charakterisierung des Kapitalismus herangezogen (freie Wirtschaft, Initiative, Wahlen, usw.). Das t�usche jedoch �ber die Tatsachen hinweg, da� die herrschende Art der Freiheit Knechtschaft und die herrschende Art der Gleichheit Ungleichheit bedeute (Marcuse, 1867, S.107f). Das Neue sei, da� die �ffentliche und private Meinung diese Manipulationen allgemein akzeptiere. Sprache und Kommunikation immunisiere sich zunehmend gegen den Ausdruck von Protest und Weigerung. Die Reklame bediene sich der Technik der Belegung von Waren mit Bedeutungen und Images, um die G�ter zu verkaufen. Gefragt sei also nicht kritisches Denken der potentiellen KonsumentInnen, sondern die stupide, reflexartige Reaktion der Objekte der Reklame. Die Werbung bediene sich einer widerspr�chlichen, manipulierenden Sprache, sie schafft neue Wortkreationen, die Waren lobpreisen, eben um jene an den Mann bzw. die Frau zu bringen.

Die Herrschaft stelle das Grausame als v�llig normal hin. So w�rden z.B. Werbungen des Civil Defense Headquarters f�r einen "erstklassigen Bunker gegen atomaren Niederschlag", ausgestattet mit allem Luxus (Fernsehen, Brettspiele, Klubsesseln, usw.) und "entworfen als kombiniertes Zimmer f�r die Familie in Friedenszeiten und als Familienbunker gegen Atomniederschl�ge", als v�llig normal betrachtet werden. Ziel dabei sei es, da� das Grausame als selbstverst�ndlich hingenommen und nicht in Frage gestellt wird (Marcuse, 1867, S. 259).

Die heutige Sprache sei eine eindimensionale, eine, die ein Vehikel der Gleichschaltung darstelle und unkritisch sei. Gegenpol dazu sei eine dialektische Sprache, die die Widerspr�che benennt. Marx spreche z.B. im Kommunistischen Manifest vom Proletariat, dem die Attribute der totalen Unterdr�ckung und der totalen Aufhebung der Unterdr�ckung zuk�men (Marcuse, 1867, S.119).

Die philosophische Sprache m�sse sich von der Alltagssprache abheben, da diese die herrschenden "Male spezifischer Arten von Herrschaft, Organisation und Manipulation" (Marcuse, 1867, S. 207) in sich trage.

Die Sprache der Menschen kann f�r Marcuse nicht f�r bare M�nze genommen werden, da ihr Universum des Denkens eines manipulierter Widerspr�che sei. Die Sprache der Objekte der manipulierten Menschen sei nicht deren eigene, sondern jene ihrer Beherrscher: "Indem sie ihre eigene Sprache sprechen, sprechen die Menschen auch die Sprache ihrer Herren, Wohlt�ter und Werbetexter. Daher dr�cken sie nicht nur sich selbst aus, ihre eigene Erkenntnis, ihre Gef�hle und Bestrebungen, sondern auch etwas anderes als sich selbst" (Marcuse, 1867, S. 208).


Wahres und falsches Bewu�tsein

Die Menschen w�rden im Kapitalismus dazu gebracht, die Gesellschaft hinzunehmen. Dies bedeute ein falsches Bewu�tsein, das aber in ein wahres umgewandelt werden k�nne. Die falschen Bed�rfnisse, so Marcuse, sind jene, die den Menschen von gesellschaftlichen M�chten auferlegt werden, die an ihrer Unterdr�ckung interessiert sind. Es handle sich daher auch um repressive Bed�rfnisse.

"Die meisten der herrschenden Bed�rfnisse, sich im Einklang mit der Reklame zu entspannen, zu vergn�gen, zu benehmen und zu konsumieren, zu hassen und zu lieben, was andere hassen und lieben, geh�ren in diese Kategorie falscher Bed�rfnisse" (Marcuse, 1967, S. 25)

Solange die Menschen manipuliert werden und kein eigenes autonomes Bewu�tsein haben, k�nnen sie, so Marcuse, kann ihre Antwort auf die Frage, was wahre und falsche Bed�rfnisse sind, nicht als ihre eigene verstanden werden.

Die von der Gesellschaft ausge�bte Kontrolle werden im Bewu�ten sein Menschen reproduziert. Dies bezeichnet Marcuse als "Introjektion" (Marcuse, 1967, S. 30).

"Das Ergebnis ist nicht Anpassung, sondern Mimesis: eine unmittelbare Identifikation des Individuums mit seiner Gesellschaft und dadurch mit der Gesellschaft als einem Ganzen" (ebd.).

Mit der These der Introjektion steht Marcuse der marxistischen Wider-spiegelungstheorie nahe: Die marxistische Epistemologie betont den Widerspiegelungscharakter der Erkenntnis: Erkenntnis wird als ein Abbild der gesellschaftlichen Verh�ltnisse, denen der Mensch als Objekt ausgesetzt ist, aufgefa�t. Sozialisierung und die M�glichkeit, da� Menschen Meinungen, Ideologien und Weltbilder aufgezwungen werden, spielen dabei eine wichtige Rolle. Widerspiegelung hat in der marxistischen Philosophie im wesentlichen drei Bedeutungsebenen:

-           als Abbild von Wechselwirkungen auf die Materie,

-           als �bereinstimmung von Bewu�tsein mit realen Sachverhalten und

-           (im DIAMAT) als die Abh�ngigkeit des gesellschaftlichen �berbaus von

der �konomischen Basis in Form der Produktionsverh�ltnisse (Vgl. Sandk�hler, 1990, Band 4, S. 825f).

Das, was die Menschen tun und sagen, geh�rt Marcuses Ansicht nach nicht ihnen selbst an, da ihr Geist von der Gesellschaft manipuliert werde.

Zum Begriff der "Wahrheit" meint er, da� ein alternativer Gesellschaftsentwurf dann wahr ist, wenn er mit den realen M�glichkeiten �bereinstimmt, die die bestehende Gesellschaft als Basis bietet und wenn er die bestehende Totalit�t als falsch erweisen kann, indem er die Aussicht bietet, die Errungenschaften der Zivilisation zu erhalten und zu verbessern, das Wesen der bestehenden Gesellschaft erfa�t und der Verwirklichung einer Befriedung des Daseins gr��ere Chancen bietet (Marcuse, 1967, S. 232). Marcuse bezeichnet diesen Wahrheitsbegriff auch als "historische Rationalit�t". Der Faschismus bleibe immer falsch, die Marxsche Theorie sei wahr.

 Marcuse geht keineswegs davon aus, da� das Bewu�tsein durch die Gesellschaft unwiderruflich in seiner Falschheit bestimmt wird. Er betont immer wieder, da� die M�glichkeit besteht, da� Menschen ein Bewu�tsein entwickeln, das die Schranken durchbricht, das die bestehende Gesellschaft dem Denken auferlegen will. Eine Transzendenz der bestehenden Bedingungen sei durchwegs m�glich. Dazu m��ten die Menschen jedoch ihrer selbst bewu�t werden. Dieses Bewu�tsein sei Voraussetzung und Element einer den Kapitalismus negierenden Praxis.

Marcuse ist nicht optimistisch hinsichtlich der Entwicklung eines wahren Bewu�tseins der Massen. Nichtsdestotrotz sei dies m�glich. Die traditionellen Formen des Protestes w�rden immer unwirksamer, notwendig sei die"absolute Weigerung", die den Beginn des Endes des Kapitalismus bedeuten k�nne. Die kritische Theorie der Gesellschaft k�nne nichts versprechen und keinen Erfolg garantieren, daher bleibe sie bei der Negierung der bestehenden Verh�ltnisse. Damit wolle sie jenen die Treue halten, die sich der Gro�en Weigerung hingeben (Marcuse, 1867, S. 266ff).

Technik

Die Aufgabe der Technik im Kapitalismus sei es, neue Formen sozialer Kontrolle zu etablieren. Diese Kontrollen h�tten eine totalit�re Tendenz. Daher k�nne keine Neutralit�t der Technik behauptet werden. Die Massenmedien, der Rundfunk und das Fernsehen h�tten im Kapitalismus eine bewu�tseinspr�gende Rolle der Manipulation. Im Kapitalismus ist also Technologie f�r Marcuse eine Form sozialer Kontrolle und Herrschaft.

"In der gegenw�rtigen Lage herrschen die negativen Z�ge der Automation vor: Antreiberei, technologische Arbeitslosigkeit, St�rkung der Position der Betriebsf�hrung, zunehmende Ohnmacht und Resignation auf seiten der Arbeiter. Die Aufstiegschancen nehmen ab, da die Betriebsf�hrung Ingenieure und Hochschulabsolventen vorzieht" (Marcuse, 1967, S. 50).

Die Produktionstechnik des Kapitalismus ver�ndere das Bewu�tsein der Arbeitenden auch in folgendem Sinn: Die Fixierung der Arbeit auf automatische und halbautomatische Reaktionen sei eine "anstrengende, abstumpfende, unmenschliche Sklaverei" (Marcuse, 1967, S. 45).

Marcuse beschreibt auch bereits eine Tendenz dazu, da� in einigen Betrieben die Arbeitenden ein ernsthaftes Interesse am Betrieb zeigen. 30 Jahre sp�ter ist diese "Mitbeteiligung der Arbeiter" unter dem Stichwort "partizipatives Management" einer der bedeutendsten aktuellen Bestandteile der Managementtheorie und neuer Strategien der Unternehmensf�hrung. Durch die Automatisierung, so Marcuse, werde immer weniger lebendige Arbeitskraft notwendig, die sich in tote Arbeit (in Form der Vergegenst�ndlichung in der Ware) verwandelt. Dies bedeute eine tendenzielle Aufhebung des Wertgesetzes und der Marxschen Begriffe des Mehrwerts und der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Damit ist gemeint, da�, wenn die industrielle Arbeit immer weniger wird, die klassischen Kategorien, mit denen sie in der Theorie beschrieben wurde, ebenfalls immer weniger anwendbar werden.

Einerseits zeige sich im Kapitalismus eine Tendenz der Aufhebung der Arbeit, andererseits aber solle die Arbeit als Profitquelle erhalten bleiben. Aus diesem Widerspruch entst�nden Probleme wie technologisch bedingte Arbeitslosigkeit und Armut.

Technik sei nicht, so wie von Max Weber und Arnold Gehlen angenommen, wertfrei. In der kapitalistischen Gesellschaft, die totalit�re Z�ge angenommen habe, k�nne Technik nicht von ihrem Gebrauch abgel�st werden. Die technologische Gesellschaft sei ein Herrschaftssystem, dieses sei bereits bei der Konstruktion der Techniken wirksam (Marcuse, 1967, S. 18).

An manchen Stellen kann bei Marcuse der Eindruck entstehen, da� er die Technik in technikdeterministischer Manier selbst als Herrschaft betrachtet und nicht ausreichend ber�cksichtigt, da� die kapitalistische Herrschaft als eine personale Herrschaft betrachtet werden kann, in der die Technik Mittel zur Aus�bung von Herrschaft ist:

"Nicht erst ihre Verwendung, sondern schon die Technik ist Herrschaft (�ber die Natur und �ber den Menschen)" (Marcuse, 1965, S. 179).

Solche Stellen sind aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Im Allgemeinen geht Marcuse davon aus, da� Technik ein dialektischer Begriff ist in dem Sinn, da� sie, abh�ngig von ihrer Einbettung in die Gesellschaft und der Gestaltung der Rahmenbedingungen des Einsatzes, durchwegs unterschiedlich verwendet werden kann. Wegen solchen vereinzelten Passagen wurde Marcuse aber immer wieder in dieselbe Reihe mit Technikdeterministen wie Schelsky, Gehlen und Freyer gestellt. Die manchmal widerspr�chlichen Aussagen Marcuses erm�glichten es Kritikern, ihn falsch zu interpretieren, und ihn als "b�rgerlichen" Denker hinzustellen. Tats�chlich ist Marcuses Technikbegriff aber als ein dialektischer betrachtet werden.

Wenn Marcuse meint, die Herrschaft sei eine Technologie (Marcuse, 1967, S. 173), so ist dies nicht technikdeterministisch in dem Sinn zu verstehen, da� die Technik selbst Herrschaft bedeute, sondern so, da� neben der Herrschaftsaus�bung mittels Technik im Kapitalismus noch zu beachten ist, da� die Aus�bung von Herrschaft selbst als eine spezielle Form des allgemeinen Begriffes Technik verstanden werden kann: als Sozialtechnologie.

Marcuses Ablehnung des Technikdeterminismus wird auch in folgendem Zitat deutlich:

"Technik als solche kann nicht von dem Gebrauch abgel�st werden, der von ihr gemacht wird; die technische Gesellschaft ist ein Herrschaftssystem, das bereits im Begriff und Aufbau der Techniken am Werke ist" (Marcuse, 1967, S. 18).

Eine andere Technik

Marcuse hat einen dialektischen Technikbegriff: Er geht zwar davon aus, da� die Technik im Kapitalismus so verwendet wird, da� sie ein Mittel ist, um die Menschen gleichzuschalten und ohnm�chtig zu halten. Ein freiheitlicher Gebrauch der Technik scheint ihm unter diesen Umst�nden nicht m�glich. Unter postkapitalistischen Verh�ltnissen, so Marcuse, kann Technik so eingesetzt werden, da� sie die gesellschaftlich notwendige Arbeit, die durch den Menschen zu verrichten ist, auf ein Minimum reduziert und ihm ein h�chstes Ma� an Freiheit und Selbstbestimmung garantiert. Der Einsatz von Technik bedeute dann nicht Gleichschaltung, Manipulation und Ende der Individualit�t, sondern die M�glichkeit eines Wohlstandes f�r alle, eines "Daseins in freier Zeit auf der Basis befriedigter Lebensbed�rfnisse" (Marcuse, 1867, S. 242).

"Die technologischen Prozesse der Mechanisierung und Standardisierung k�nnten individuelle Energie f�r ein noch unbekanntes Reich der Freiheit jenseits der Notwendigkeit freigeben. [...] das Individuum w�rde von den fremden Bed�rfnissen und M�glichkeiten befreit, die die Arbeitswelt ihm auferlegt. Das Individuum w�re frei, Autonomie �ber ein Leben auszu�ben, das sein eigenes w�re" (Marcuse, 1967, S. 22).

"Vollst�ndige Automation im Reich der Notwendigkeit w�rde die Dimension freier Zeit als diejenige er�ffnen, in der das private und gesellschaftliche Dasein sich ausbilden w�rde. Das w�re die geschichtliche Transzendenz zu einer neuen Zivilisation" (Marcuse, 1967, S. 57).

Der eigentliche Zweck der Technik, der aber im Kapitalismus nicht realisierbar sei, ist f�r Marcuse die Erm�glichung eines "befriedeten Daseins", das einen Sieg �ber den Mangel herstelle. Dieses w�rde auch qualitativ andere Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Natur er�ffnen (Marcuse, 1967, S. 246). Die technische Unterwerfung der Natur sei bisher einhergegangen mit einer Zunahme der Herrschaft des Menschen �ber den Menschen (Marcuse, 1867, S. 264).

Die geschichtliche Alternative sei"die geplante Nutzung der Ressourcen zur Befriedigung der Lebensbed�rfnisse bei einem Minimum an harter Arbeit, die Umwandlung der Freizeit in freie Zeit, die Befriedung des Kampfes ums Dasein".

Die moderne Technik sei so weit entwickelt, da� sie einen Umsturz der gesellschaftlichen Verh�ltnisse notwendig mache. Dann sei eine "Aufhebung der Arbeit" durch Automatisierung m�glich:

"Die fortgeschrittene Industriegesellschaft n�hert sich dem Stadium, wo weiterer Fortschritt den radikalen Umsturz der herrschenden Richtung und Organisation des Fortschritts erfordern w�rde. Dieses Stadium w�re erreicht, wenn die materielle Produktion (einschlie�lich der notwendigen Dienstleistungen) derma�en automatisiert wird, da� alle Lebensbed�rfnisse befriedigt werden und sich die notwendige Arbeitszeit zu einem Bruchteil der Gesamtzeit verringert. Von diesem Punkt an w�rde der technische Fortschritt das Reich der Notwendigkeit transzendieren, in dem er als Herrschafts- und Ausbeutungsinstrument diente, was wiederum seine Rationalit�t eingeschr�nkt hat; die Technik w�rde dem freien Spiel der Anlagen im Kampf um die Befriedigung von Natur und Gesellschaft unterworfen" (Marcuse, 1967, S. 36).

Auch in diesem Zitat wird Marcuses dialektischer Technikbegriff verdeutlicht: Im Kapitalismus sei Technik ein Herrschafts- und Ausbeutungsinstrument, in einer freien Gesellschaft M�glichkeit zur Reduktion der Arbeitszeit aller. Die Automation sei jedoch mit der "auf der privaten Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft im Produktionsproze�" (Marcuse, 1867, S. 55) beruhenden Gesellschaft nicht vereinbar. Im Kapitalismus sei ihre Anwendung also widerspr�chlich und produziere gesellschaftliche Probleme.

Im Marxismus wurde oftmals die Ansicht ge�u�ert, da� die Technik in unver�nderter Weise einfach aus dem Kapitalismus in den Sozialismus �bernommen werden k�nnte. Marcuse vertritt jedoch die Ansicht, da� sich eine qualitative �nderung der Gesellschaft nicht nur in �konomie und Politik einstellen m�sse, sondern da� auch die "technische Basis" umgeformt werden m�sse. Weder Verstaatlichung noch Sozialisierung �ndere von sich aus die Rationalit�t, die der Technik zu Grunde liege. Eine neue Richtung des technischen Fortschritts sei n�tig, nicht eine quantitative Fortentwicklung der herrschenden technologischen und wissenschaftlichen Rationalit�t, sondern deren radikale Umwandlung (Marcuse, 1867, S. 239).

Wenn sich die Arbeiterklasse selbst durch eine Revolution befreit, so Marcuse, dann sei eine Gesellschaft m�glich, in der ein �bergang vom Prinzip "Jedem nach seiner Arbeit" zu "Jedem nach seinen Bed�rfnissen" stattfindet (Marcuse, 1867, S. 61f). Dabei argumentiert Marcuse wie Marx, da� in einer ersten Phase die neue Gesellschaft noch mit den Muttermalen der alten behaftet sein w�rde, also der Zwang zur Ent�u�erung in der Lohnarbeit noch nicht vollst�ndig aufgehoben w�re. Erst nach einer Aufbauphase sei in einer zweiten Phase ein "Reich der Freiheit" zu erreichen. Erst dann w�rde die quantitative �nderung (weniger Lohnarbeit, weniger Herrschaft, usw.) in eine qualitative umschlagen (keine Lohnarbeit, keine Herrschaft, usw.). Im "Reich der Freiheit" sei die Verteilung lebenswichtiger G�ter ohne R�cksicht auf Arbeitsleistung und die Reduktion der Arbeitszeit auf ein Minimum m�glich (Marcuse, 1867, S. 64).

Die bestehende Technik, so Marcuse, sei ein Instrument destruktiver Politik, daher m��te eine qualitative Ver�nderung der Politik mit der �nderung der Richtung des technischen Fortschritts einhergehen. Die Politik m��te eine neue Technik entwickeln (Marcuse, 1867, S. 238). Die Technik m��te aber nicht vollst�ndig erneuert werden, da sie auch schon heute Bed�rfnisbefriedigung und die Verringerung harter Arbeit erm�gliche (ebd., S. 242f). Ein Umbau der Technik sei daher notwendig.

Fazit

Bei Gehlen, Freyer und Schelsky erscheint Technik als eine Herrschaft der Sachzw�nge und der technischen Logik �ber die Menschen. Marcuse setzt diesen Ansichten eine Gegenthese entgegen: Die Technik ist Herrschaftsmittel der herrschenden Klasse, sie ist ein Mittel zur Manipulation des Bewu�tseins, zur Herstellung falscher Bed�rfnisse und der Eindimensionalit�t des Denkens sowie Handelns.

Nach dieser These stellen die Ansichten Gehlen, Freyers und Schelsky Versuche dar, Herrschaftsverh�ltnisse zu entpersonalisieren und die Technik prinzipiell zu d�monisieren. Bei Marcuse ist hingegen die Herrschaft ein personalisiertes Verh�ltnis und die Technik unterst�tzendes Mittel zu ihrer Aus�bung. Marcuses Technikbegriff ist weder technikpessimistisch, noch -optimistisch, da er davon ausgeht, da� die Auswirkungen der Technik von ihrer gesellschaftlichen Einbettung und den institutionellen Rahmenbedingungen abh�ngen. Im Kapitalismus bedeute Technik Manipulation und die Herstellung einer eindimensionalen Gesellschaft, im Sozialismus k�nne sie aber v�llig anders angewendet werden, als ein Mittel zur Aufhebung der Arbeit, das ein "Daseins in freier Zeit auf der Basis befriedigter Lebensbed�rfnisse", einen Sieg �ber den Mangen und ein "befriedigtes Sein" erm�gliche. Marcuses Technikbegriff kann daher als dialektisch eingestuft werden. Wesentlich ist f�r ihn ein utopisches Denken und ein vision�rer Einsatz von Technologien.

Es wurde bereits im Kapitel �ber J�rgen Habermas erw�hnt, da� dieser genau diesen Punkt an Marcuse kritisiert: Die Gesellschaft sei nun einmal durch die Arbeit gepr�gt und daher sei es nicht einsehbar, warum die bestehende Technik durch eine qualitativ Neue ersetzt werden sollte. Habermas kritisiert weiters, da� solche Utopien konkrete alternative Entw�rfe zum Bestehenden bieten m��ten, um ernsthaft in Betracht gezogen zu werden. Marcuse liefere aber keine derartigen Entw�rfe. Das Gegenargument zu Habermas lautete wiederum, da� dieser jede Hoffnung auf Alternativen aufgegeben habe und im Bestehenden verharre. Ein m�glicher positiver Einsatz von Technik komme Habermas durch seinen Technikpessimismus gar nicht in den Sinn.


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