Neues Deutschland:
Article about the burial of Herbert Marcuse's ashes
and
Interview with Angela Davis [jump down]

prepared for the marcuse.org/herbert website by Harold Marcuse, July 29, 2003

Neues Deutschland, 19.07.03 [link]

Einer der feinsten Intellektuellen
Zum 105. Geburtstag von Herbert Marcuse -- Gedenkkolloquium an der FU Berlin

Von Karlen Vesper

Nun ist er wieder in Berlin: Herbert Marcuse. Er kam zurück, in einem schwarzen Cadillac, der schon die Asche von Benno Ohnesorg und Marlene Dietrich transportierte. Am gestrigen Freitag fand der Mitbegründer der Frankfurter Schule seine letzte Ruhestätte in der Stadt, in der er am 19. Juli 1898 das Licht der Welt erblickt hatte. Nun liegt er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof neben Fichte, Hegel und Schelling, Brecht und Bahro.

Wie Enkel Harold Marcuse auf einem Gedenkkolloquium in Berlin informierte, hat es sich die Familie mit dieser Entscheidung nicht leicht gemacht. Nachdem Herbert Marcuse am 29. Juli 1979 in Starnberg während einer Vortragsreise in Deutschland verstorben war, hatte die Witwe Erica "Ricky" Sherover darauf bestanden, dessen sterblichen Reste in Österreich einzuäschern � "da in Deutschland schon genug Juden verbrannt worden" seien. Die Urne wurde in die USA übersandt und in einem Bestattungsunternehmen in New Haven (Connecticut), in der Nähe des Wohnortes von Sohn Peter Marcuse, aufbewahrt � bis sich die Familie jetzt entschloss, "den Deutschen einen ihrer feinsten Intellektuellen zurückzugeben", wie Harold Marcuse sagte.

Nicht zu nostalgischem Rückblick traf man sich, sondern um seine Spur in der Geschichte kenntlich zu machen und ihn in die Gegenwart zu holen, in eine Zeit, da "man uns alle Utopien austreiben will", wie Gunter Gebauer vom philosophischen Institut der FU bemerkte. "Da steht Marcuse, einer, der an einer konkreten Utopie festhielt. Sich mit ihm zu beschäftigen birgt eine gewisse Gefahr, seine Integrität, sein Charisma, seine Radikalität sind ein Sicherheitsrisiko."

Prominentester Gast war Angela Davis, ehemals Studentin bei Marcuse und heute Dozentin an der Universität von Santa Barbara. Sie bot Erinnerungen zur Person: Charmant, attraktiv, humorvoll sei Marcuse gewesen; anziehend und faszinierend sein philosophisches Denken; beeindruckend seine Solidarität mit den um ihre Rechte streitenden afroamerikanischen und Latino-Studenten. Zu lernen sei aus seinem Engagement in den Kämpfen seiner Zeit. Er war ein leidenschaftlicher Optimist und warnte doch vor Illusionen und naiven Hoffnungen. Den Hippies sagte er: "Flowers by themselves have no power." Nur die Menschen selbst könnten die Blumen, die Welt vor Zerstörung schützen, pflegen, bewahren, veredeln.

Angela Davis fragte sich, was Marcuse wohl zu der neuen Ordnung nach dem 11. September 2001 sagen würde: zum schizophrenen Sicherheitswahn, zur aggressiven Verteidigung von US-Interessen in aller Welt, aber auch zur kraftvollen Mobilisierung von zehn Millionen Friedensfreunden weltweit, die indes nicht genug Kraft hatten, den Irak-Krieg zu verhindern, den "Cowboy Bush" um jeden Preis wollte. Auch Axel Honneth, Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, verwies auf die revolutionären Eingriffe des philosophischen Denkens von Marcuse in die politische Praxis. Der Berliner "Außenseiter" habe die Frankfurter Schule auf spezifische Weise bereichert, sich von seinen Kollegen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (der übrigens am 7. Juli seinen 30. Todestag hatte) durch einen vorbehaltlosen, schnörkellosen Denk- und Sprachstil abgehoben. Und sein revolutionäres Pathos habe ihn eher mit dem zweiten Berliner des Frankfurter Kreises geeint: Walter Benjamin. Honneth nannte die Einflüsse von Hegel, Marx, Lukács und Freud auf Marcuse: Vertrauen in die politische Durchsetzbarkeit eines vernünftigen Allgemeinen, Glaube an menschliche Emanzipation und soziale Nutzbarmachung des bereits politisch Möglichen, Einheit von Theorie und Praxis, Politik und Eros. Marcuses Werk habe auch einen erotischen Impuls, war zu hören.

Ehemalige Studentenführer erinnerten sich an Marcuses Auftritt an der FU im Juli 1967, "an einem heißen Sommertag wie heute, aber viel stärker besucht � und das Rauchen im Hörsaal war noch erlaubt". Es war die Zeit, da Studenten den Mief unter den Talaren anprangerten, den schmutzigen Krieg der USA gegen Vietnam und das Schweigen der Eltern über den Faschismus anklagten. Der persische Schah besuchte die Stadt, und der Student Benno Ohnesorg wurde von einer Polizeikugel tödlich getroffen. Der akademische wie auch der Westberliner Senat versuchten, die rebellischen Studenten als eine radikale Minderheit abzustempeln und sie mit Zwangsexmatrikulation zu disziplinieren. Die Fronten verhärteten sich... Da kam Marcuse aus den USA: ein Wissenschaftler mit großer Reputation, jüdischer Emigrant, unverdächtig, ein Kommunist zu sein. Und er hielt scharfe Reden gegen das System, gegen den Krieg, gegen Repression und Konsumzwang. "Er war nicht Anstifter, sondern Ideengeber, Gesprächs- und Diskussionspartner für uns Studenten", bemerkte der ehemalige AStA-Vorsitzende Wolfgang Lefèvre.

Vor allem zwei Bücher Marcuses beeinflussten die Protestbewegung der Studenten maßgeblich: "Der eindimensionale Mensch" und "Triebstruktur und Gesellschaft". Die nach wie vor immer wieder kolportierte Behauptung, Marcuse sei geistiger Vater der RAF und Roten Brigaden, wurde auf dem Kolloquium vehement bestritten und überzeugend widerlegt. Er hat die Anwendung physischer Gewalt gerade auch mit Blick auf die deutsche Terrorszene entschieden verurteilt; individueller Terror könne keine revolutionäre Funktion erfüllen.

In diesem Sinne würdigte auch die anschließende Diskussionsrunde über neue Kriege, Globalisierung und ökologische Zukunft Marcuse als einen Denker, der jegliche Form des Defätismus ablehnte. Vielleicht war er es auch, der die "Frankfurter" vor einem Absturz in die Resignation bewahrt hat? Das System bewies erstaunliche Potenz, kein Gewaltverhältnis ist beendet. Und eben darum � so das Fazit des Kolloquiums � sind Utopien wichtig.


Neues Deutschland, 26.07.03 [link][back to top]

Für eine bessere Welt muss man kämpfen
ND-Exklusiv-Interview mit der US-Bürgerrechtlerin Angela Davis

Angela Davis in Berlin, July 2003ND-Foto: Burkhard Lange

Fast genau 30 Jahre ist es her, da Hunderttausende in Berlin ihr zujubelten. Angela Davis war einer der Promis bei den X. Weltfestspielen � nachdem die US-Bürgerrechtlerin Dank überwältigender internationaler Solidarität aus der Haft entlassen werden musste. Vor einigen Tagen war sie wieder in Berlin � und traf auf jenen Mann, der 1971/72 insgesamt 7 Monate aus Kalifornien für die DDR-Medien über den Prozess berichtete und Angela Davis für das DDR-Fernsehen im Gefängnis interviewte. ND bat den langjährigen ADN-Korrespondenten in Washington und New York, Horst Schäfer, dieses Interview zu führen.

Angela, Du hast in Berlin an einem Symposium teilgenommen, das die Aktualität der Lehren von Herbert Marcuse, des bekanntesten Philosophen der 68er-Generation, unterstrich.
Davis: Die heutige Situation ist auf eine beängstigende Weise der in den 60er Jahren vergleichbar. Damals ging es darum, den Krieg der USA gegen Vietnam zu beenden � heute geht es um die Bedrohung des Weltfriedens durch die Aggression gegen Irak, Afghanistan und vielleicht bald gegen Iran und Nordkorea. Gleichzeitig geht es um solche wirtschaftlichen Probleme wie wachsende Armut, Globalisierung sowie um zunehmenden Rassismus. Marcuse lehrte uns, dass es sehr wichtig ist, gerade auch für Intellektuelle, Teil der Bewegung für soziale Rechte und gegen Sozialabbau sowie der Antikriegsbewegung zu sein. Er wollte in seiner Lehre immer gefährlich für das herrschende System sein, er stellte den Kapitalismus in Frage.

Kannst Du uns kurz sagen, was Du seit Deinem erfolgreichen Prozess gemacht hast � beruflich und politisch?
"Kurz" für 31 Jahre ist ganz schön schwierig. Also als erstes habe ich einige Jahre geholfen, die "Allianz gegen rassistische und politische Unterdrückung" in den USA aufzubauen, die gerade ihren 30. Jahrestag beging und viele Erfolge erzielen konnte. Ich wollte etwas von der großen Solidarität, die ich erfahren hatte, zurückgeben und denen helfen, die ebenfalls unschuldig im Gefängnis saßen oder anderweitig verfolgt wurden und immer noch werden � wie z. B. der schwarze Journalist Mumia Abu Jamal und der Indianerführer Leonard Peltier. Das war für viele Jahre meine wichtigste Tätigkeit. Dann arbeitete ich aktiv in der KP der USA, war deren Kandidatin für die Vizepräsidentschaft. Aber 1991 trat ich aus der Partei aus und war Mitbegründerin der "Conference Committees for Democracy and Socialism" in den USA�

Was bewog Dich nach 22 KP-Jahren?
Das war keine leichte Entscheidung und im Wesentlichen das Ergebnis des erfolglosen Versuchs vieler Genossen, die Partei zu demokratisieren � nach all den Erfahrungen, die in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten gemacht wurden. Die Committees sind keine Partei, sondern eine breiter angelegte Organisation von Sozialisten � Kommunisten, demokratische Sozialisten und andere �, die am Ziel Sozialismus festhalten wollen.

Zurück zu Deinem Lebenslauf.
1977 habe ich parallel zu meiner politischen Arbeit begonnen, an der Universität zu lehren � zuerst für kurze Zeit an der Stanford Universität, dann am Claremont College und schließlich an der San Francisco State University.

Gab es an den Unis keine Probleme?
Oh doch. Nachdem ich 1991 eine Professur an der Universität von Kalifornien in Santa Cruz übernommen hatte, nominierte man mich für das Präsidium der Universität auf dem Gebiet der afroamerikanischen Studien. Ich nahm an � und es gab einen gewaltigen Aufschrei konservativer Politiker in Kalifornien. Ich wurde mit den gleichen antikommunistischen Hasstiraden verfolgt wie schon früher. Das war eine sehr schwierige Zeit. Aber ich muss auch sagen: der Präsident der Universität hat mich damals unterstützt.

Was machst Du jetzt?
Ich lehre immer noch in Santa Cruz, und zwar Geschichte des Bewusstseins, und bin zurzeit Leiterin einer Fakultät, die sich mit den besonderen Fragen der Entwicklung der Frauen beschäftigt, dem Department für "Women's Studies". Geschichte des Bewusstseins ist ein interdisziplinäres Programm, das Philosophie, Literatur und Geschichte umfasst.

Nun zur aktuellen Lage in den USA. Wie hat sich die aggressive Außenpolitik der Regierung in den USA ausgewirkt?
Seit der Wahl von Präsident George W. Bush ist die Lage für einen Großteil der Menschen schwieriger geworden. Insbesondere nach dem 11. September 2001 wurde ihnen eingeredet, dass sie angesichts dieses Verbrechens die Regierung nicht mehr kritisieren dürften � und viele glaubten es. Diejenigen, die ihre Stimme gegen die immer gefährlicher werdende Politik der Bush-Regierung erhoben, wurden verfolgt, verloren manchmal ihre Jobs, z.B. an der Uni. Es bestätigte sich: Wer andere Länder unterdrückt, unterdrückt auch das eigene Volk. Der 11. September wurde missbraucht, um demokratische Rechte erheblich einzuschränken.

Gibt es dafür Beispiele?
Das wird schon deutlich an dem neuen "Patriotic Act", einem Gesetzeswerk, das im Schnellverfahren ohne große Diskussion angenommen wurde und das die Rechte von Emigranten, insbesondere arabischer und nahöstlicher Herkunft, erheblich einschränkt. Viele von ihnen wurden mit Hilfe dieser neuen Gesetze eingesperrt und ihnen jeder Rechtsbeistand verweigert. Diese Erosion der Rechte und Freiheiten betrifft nicht nur Emigranten, sondern alle. Es wird versucht, ein Feindbild zu konstruieren, ein rassistisches Feindbild. Im Moment sind es besonders die Araber, aber das kann schnell wechseln. Und das schlimmste ist: In unserer multi-ethnischen Gesellschaft werden jetzt diejenigen gegeneinander aufgehetzt, die selbst unter rassistischer Unterdrückung gelitten haben und noch leiden.

Aber neu ist das doch nicht?
Natürlich nicht, aber es wurde erheblich intensiviert. Schon in den letzten 20, 30 Jahren hat man z.B. in Kalifornien versucht, Schwarze gegen Einwanderer aus dem Süden aufzuwiegeln und ihnen einzureden, dass die Lateinamerikaner ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Das stimmte natürlich überhaupt nicht. Wir versuchen, dem eine alle Rassen umfassende Solidarität entgegenzusetzen.

Kürzlich las ich in US-Publikationen, dass es in linken Kreisen eine Faschismus-Diskussion gibt?
Ja, und zwar darüber, ob die Gefahr einer faschistischen Entwicklung in den USA besteht. Wenn man die Politik von Rumsfeld und Cheney verfolgt, könnte man befürchten, dass es in diese Richtung geht. Insbesondere, wenn man Faschismus mit der zunehmenden Schließung aller demokratischen Kanäle verbindet und mit dem ökonomischen Konservatismus, der bei uns vorherrscht. Aber ich denke, es gibt noch viele Möglichkeiten, die demokratischen Kräfte zu mobilisieren und einen Faschismus zu verhindern. Man muss darum kämpfen.

Ist da nicht auch die Erinnerung an McCarthy wieder wach geworden?
Und ob! Viele, die ihre Erfahrungen in der McCarthy-Zeit gemacht haben, sagen, heute sei es sogar noch schlimmer. Auch ich konnte erfahren, dass es viele Übereinstimmungen gibt. Die Sache hat eine ähnliche Dynamik wie früher der Antikommunismus. Darauf muss die Linke in den USA unbedingt reagieren.

Wie haben sich denn Friedensbewegung und Linke angesichts des zunehmenden Drucks entwickelt?
Die Anti-Kriegsbewegung wächst, obwohl sie einige Zeit brauchte, sich vom Schock des 11. 9. zu erholen. Die Regierung hat diese Zeit, in der die Leute praktisch paralysiert waren, schamlos für den Abbau demokratischer Rechte und die Kriegsvorbereitung genutzt. Erst vor dem Krieg gegen Irak wachten die Menschen auf, Anfang 2003 kam es zu gewaltigen Demonstrationen in allen Landesteilen.

Seit Kriegende ist es um die Friedensbewegung wieder ruhig geworden.
Es ist uns gelungen, per Internet sehr schnell sehr viele Menschen zu Massendemonstrationen zusammenzubringen. Aber eine Demonstration, selbst die gewaltigste wie die weltweit 10-15 Millionen am 15. Februar, ist noch keine Bewegung.

Doch sie könnte der Anfang sein.
Um eine wirkliche Bewegung gegen Kriegspolitik und Sozialabbau auf die Beine zu stellen, muss man Menschen organisieren, und zwar langfristig. Man muss auf die öffentliche Meinung Einfluss nehmen und sie ändern, Menschen erreichen, die sonst nie an einer politischen Versammlung teilnehmen. Doch viele wollen sofortige Ergebnisse ihres Protestes sehen � sie scheuen den langen Weg des Organisierens, weil das natürlich viel schwieriger ist. Aber es geht nicht anders, wenn wir den "Bushs" und ihrer Politik weltweit Paroli bieten wollen. Davon müssen wir immer wieder uns selbst und auch insbesondere junge Leute überzeugen, die oftmals von einer regelrechten Demonstrationswut befallen sind. Wichtige Aufgabe wäre jetzt die Organisierung gegen die Globalisierung des Kapitals. Wir brauchen eine Globalisierung des Widerstandes gegen die kapitalistische Globalisierung.

Schon vor 30 Jahren hieß es über Afroamerikaner: "Als letzte geheuert � als erste gefeuert". Ist das immer noch so?
Leider ja. Es war etwas besser geworden, aber seit einigen Jahren nehmen Armut und Not wieder zu. Schon nach der Statistik ist die Arbeitslosigkeit bei Schwarzen fast eineinhalb Mal so hoch wie bei Weißen. Die "New York Times" schrieb, die Schwarzen verlören ihre Jobs jetzt schneller als zu jeder anderen Zeit seit Mitte der 70er Jahre. Wenige Afroamerikaner haben es geschafft, in die oberen Ränge der Macht aufzusteigen, darunter Außenminister Powell und Sicherheitsberaterin Rice. Aber weil die beiden in höchsten Regierungsämtern sitzen, hat die Zahl der diskriminierten Schwarzen nicht um einen abgenommen. Weil das weniger eine Rassen-, sondern eine Klassenfrage ist. Beide sind eng miteinander verknüpft. Man kann den Kampf um die Gleichberechtigung einer unterdrückten Rasse nicht vom Klassenkampf trennen�

Zum Thema Rassismus gehört ja auch die große Zahl von Schwarzen in den Gefängnissen � ein Thema, mit dem Du dich sehr intensiv beschäftigst.
Das ist ein sehr trauriges und skandalöses Kapital. Von den mehr als 2 Millionen Menschen in den USA-Gefängnissen � so viel wie in keinem anderen Land! � sind etwa 1 Million, also fast die Hälfte, Afroamerikaner. Sie sind Opfer der Diskriminierungspolitik und bilden das Rückgrat einer regelrechten Gefängnisindustrie. Wenn man noch berücksichtigt, dass von den Soldaten in Irak mehr als die Hälfte aus den Reihen der Minderheiten kommt, dann weiß man, wie es in den USA mit der politischen und insbesondere der ökonomischen Gleichberechtigung steht. Die Berufsarmee ist angesichts von Massenarbeitslosigkeit und geringen Bildungsmöglichkeiten gerade unter jungen Afroamerikanern und Mexikoamerikanern in zunehmendem Maße ihre letzte Chance.

Was kann die Linke in den USA tun, um Veränderungen in der Innen- und Außenpolitik zu erreichen?
Die Zeit bis zu den Wahlen 2004 bietet eine wichtige Gelegenheit für Linke und Friedensbewegung, den Bürgern ihre Forderungen zu vermitteln, sie zu organisieren und die Politik der Bush-Regierung in Frage zu stellen. In den USA wird die Forderung nach einem "Regimewechsel" immer lauter. Die Leute haben die Forderung aufgegriffen, die Bush benutzte, um seinen Krieg gegen Irak zu rechtfertigen, und benutzen sie nun gegen Bush: "Regime-Change at home"! Natürlich machen wir uns keine Illusionen. Nur wenn es uns wirklich gelingt, Massen von Menschen um die Forderungen der Linken und der Friedensbewegung zu organisieren, sind wir auch in der Lage, nach den Wahlen entsprechenden Druck auf Kongress und Regierung auszuüben. Wir müssen den Menschen das Gefühl zurückgeben, dass sie auch selbst Macht ausüben können.

Woher nimmst Du die Kraft und Energie für Deinen politischen Kampf? Andere denken mit 59 Jahren schon darüber nach, wann sie sich zur Ruhe setzen.
(Angela lacht) Wenn man von etwas überzeugt ist, sollte man den Kampf nicht aufgeben. Mein ganzes bisheriges Leben, meine Arbeit, wären bedeutungslos, wenn ich nicht immer weiter versuchen würde, die Menschen davon zu überzeugen, dass eine bessere Welt � wie auch Marcuse gesagt hat � möglich und sogar bitter nötig ist. Um aber eine bessere Welt zu erreichen, muss man gegen den Kapitalismus kämpfen, gegen seinen Rassismus, seine Unterdrückung und seine Kriege.

Ist auch die Erinnerung an Deinen eigenen Fall ein Kraftspender?
Sicher. Ein großer Teil meiner Energie rührt auch aus der unglaublichen Solidarität, die ich während meines Prozesses 1971/72 weltweit erfahren habe, wobei die DDR und insbesondere ihre Millionen Schulkinder dabei eine besondere Rolle gespielt haben. Ich könnte jetzt noch im Gefängnis sitzen, wenn diese Solidaritätsbewegung nicht erheblich zu meiner Freilassung beigetragen hätte. Ich möchte diese Solidarität den Menschen zurückgeben, ich muss einfach weiterkämpfen. Für mich ist aber nicht wichtig, dass man sich an mich persönlich erinnert. Aber wichtig für das "historische Gedächtnis" ist schon, dass es damals gelang, gegen die Politik der Nixon-Regierung einen großen Erfolg � meine Freilassung � zu erreichen. Da wir es damals geschafft haben � wieso sollten wir heute gegen die Politik der Bush-Regierung nicht auch erfolgreich sein?


prepared for web by Harold Marcuse, July 29, 2003, formatting 5/18/05
return to top, Herbert's Ashes articles page, Herbert Marcuse homepage