prepared for the marcuse.org/herbert website by Harold Marcuse, July 29, 2003
June 25, 2003
Ehrengrab für Herbert Marcuse
Der 1979 verstorbene Philosoph Herbert Marcuse erhält in Berlin eine Ehrengrabstätte
für seine Verdienste um die Stadt. Das beschloss gestern der Senat. Auf
Wunsch der Familie wird die bisher in den USA bestattete Urne auf dem Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen
Friedhof beigesetzt. Bm/dpa
July 15, 2003 [title page][back to top]
Die Urne Marcuses ist in Berlin angekommen
Berlin - 24 Jahre nach seinem Tod ist die Asche des Philosophen Herbert Marcuse
in seiner Geburtsstadt Berlin eingetroffen. Marcuses Sohn Peter, Professor an
der Columbia University in New York, brachte die Urne aus den USA als Handgepäck
mit nach Tegel.
Marcuse ist einer der Gründungsväter der "Frankfurter Schule" und
gilt als einer der einflussreichsten Vordenker der Studentenbewegung.
Nach der Landung wurde die Urne in den Cadillac der Firma Grieneisen geladen
und auf eine kleine Tour durch Berlin geschickt, die an den Toren des Dorotheenstädtischen
Friedhofs endete. Dort wird Herbert Marcuse am kommenden Freitag seine letzte
Ruhe finden. Marcuse wurde am 19. Juli 1898 in Berlin als Sohn einer großbürgerlichen
jüdischen Familie geboren. Er starb 1979 während einer Vortragsreise
in Starnberg.
July 15, 2003, Ressort Stadtleben [link;
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Letzte Reise eines Philosophen
Die Urne von Herbert Marcuse kam gestern aus den USA in Berlin an - als Handgepäck
seines Sohnes
Von Kai Ritzmann [same article as in Die Welt]
Ankunft mit dem Cadillac auf dem Dorotheenstädti-schen Friedhof: Ein Mitarbeiter des Bestattungsunter-nehmens Grieneisen trägt die Urne des Philosophen Herbert Marcuse Foto: Meißner |
Er war ein Held, für die einen. Er war durch einen Lebenslauf und eine
Arbeitsleistung geadelt, die ihn in die unmittelbare Nähe zu Erich Fromm,
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno rückten. Er war Mitbegründer
der "Frankfurter Schule", die vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet
war. Er wurde verehrt, sogar geliebt, sein Buch "Der eindimensionale Mensch"
galt als die Bibel der Achtundsechziger. Seine Auftritte, vor allem in Berlin,
waren - schon im Augenblick, als sie stattfanden - legendär.
Und er wurde gehasst, von den anderen. Von denen vor allem, die ihn nur hörten
und sahen, nicht lasen. Denn auf dem Podium verschwand der Philosoph der Befreiung
aus schier auswegloser Unterdrückung hinter dem charismatischen Hohepriester
der Revolte, als den ihn die Studenten mit aller Kraft wahrnehmen wollten. Gestern
nun kehrte dieser Herbert Marcuse nach Berlin, wo er 1898 geboren wurde, zurück.
Sein Sohn Peter brachte die Urne, die zuletzt im Arbeitszimmer seines Hauses
in Connecticut geruht hat, als Handgepäck mit in die Hauptstadt. Die Asche
soll noch in dieser Woche auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt
werden. Der Senat hat ihm dort ein Ehrengrab zuerkannt.
Es ist eine Rückkehr zu Hegel und Fichte, Brecht und Hans Mayer - und ins
Alte Europa. Es ist eine Eingemeindung in den Hain deutscher Denker. Es ist,
24 Jahre nach seinem Tod, der ihn in Starnberg ereilt hat, das versöhnliche
Ende eines langen Weges.
Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Tegel erklärte Peter Marcuse die letzte
Reise seines Vaters zu einem Akt der "Gerechtigkeit" und zu einer "politischen
Geste". Schließlich sei das große Thema Herbert Marcuses, der Widerstand
gegen Entmündigung und Manipulation, noch immer lebendig. Mit der Beisetzung
sei "kein Schlussstrich" gezogen. "Der Kampf", so der Nachgeborene, der selbst
an der New Yorker Columbia University Stadtplanung lehrt, "geht weiter."
In Tegel wurde die Urne in den lang gestreckten Cadillac der Firma Grieneisen
gelegt. Der außergewöhnliche Leichenwagen ist eigentlich schon in
den Besitz des Technikmuseums übergegangen (wir berichteten), für
diesen Anlass jedoch wurde er noch einmal quasi requiriert. Dies war weniger
der Plan der Familie, vielmehr wünschte sich eine TV-Produktionsfirma diesen
eher theatralischen Auftritt. Das Fernsehteam arbeitet gerade an der ersten
Dokumentation über den Intellektuellen und Professor, der seit den 60er-Jahren
an der Universität von San Diego gelehrt hat. Und so nahm die Urne Platz
im Cadi. Eingepackt war sie in jene alte Versandschachtel aus Pappe, in der
sie schon 1979 von Starnberg per Luftpost nach New Haven expediert worden ist.
"Achtung Aschenurne - Pietätvoll behandeln!" steht auf einem Aufkleber.
Auch die alte Frachtnummer des Münchner Flughafens (774) ist noch zu sehen.
Der kleine Karton hat einmal gute Dienste geleistet, warum denn nicht erneut!
Mit dieser Ladung im Fond fuhr das Grieneisen-Mobil, verfolgt von dem Filmteam,
vom Flughafen aus durch die Stadt, vorbei am Charlottenburger Schloss, am Ernst-Reuter-Platz,
am Großen Stern, am Brandenburger Tor, die Friedrich- und endlich die
Chausseestraße hinauf bis zum Friedhof. Eine Fahrt noch einmal durch seine
Geburtsstadt. Hier ging er, Sohn einer großbürgerlichen jüdischen
Familie, aufs Augusta-Gymnasium, hier ging er zur Universität, hier arbeitete
er in den 20er-Jahren bei einem Verlag.
Berlin hätte seine Stadt werden können, sein geistiger Nährboden.
Aber es kam anders. Auch er musste vor Hitler fliehen. Amerika wurde seine Heimat.
Nun wird er in Berlin, dem Ort, der ihm entrissen wurde, beerdigt.
Sein Vater, sagte Peter Marcuse, hätte die Sache mit der Beisetzung "nicht
so wichtig genommen". Mag sein, er hatte wohl anderes im Kopf. Für das
geistige Berlin jedoch ist es ein Ereignis.
info: Apo-Mentor
Herbert Marcuse wurde am 19. Juli 1898 in Berlin geboren. Er gehörte zu
den Begründern des Instituts für Sozialforschung. Sein Hauptwerk galt
der kritischen Analyse der kapitalistischen Gesellschaft. Titel wie "Der eindimensionale
Mensch", "Repressive Toleranz" und "Über den affirmativen Charakter der
Kultur" wurden zu Schlagwörtern der Studentenbewegung. Marcuse starb 1979
in Starnberg. k.r.
July 17, 2003,
Ressort Kultur [link;
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picture]
Angela und ich
Heute würdigt Angela Davis in Berlin ihren Mentor Herbert Marcuse. Dabei
war sie einst selbst ein Idol
Von Michael Pilz
Als ich in Ostberlin geboren wurde, im Oktober 1965, brütete Angela Davis
an der Universität in Frankfurt/Main schon über schwer lesbaren Büchern.
Zugeraten hatte ihr der Philosoph Herbert Marcuse. Angela war eine Afroamerikanerin
aus Alabama.
Wir erfuhren vom gerechten Kampf der Schwarzen 1970 durch den Comic "Mosaik",
in dem die Digedags sich heldenhaft um ausgerissene Sklaven in den Sümpfen
Louisianas kümmerten. "Die Neger" spielten Banjo, sprachen fehlerhaft und
weckten unser Mitleid. Daran dachten wir, als wir zum ersten Mal im Kindergarten
von Angela Davis hörten und ihr Bild betrachteten. Eine sehr stolze dunkle
Frau mit eindrucksvoller Lockenpracht. Wir malten Angela. Wer schreiben konnte,
schrieb darunter: "Freiheit für Angela Davis!" Unsere Bilder wurden eingesammelt
und verschickt an: Richard Nixon, Präsident der USA, Weißes Haus,
Washington. Wir stellten uns den Präsidenten vor, wie er die drohend krakeligen
Werke sichtete und ängstlich aus dem Fenster in die Sklaven-Sümpfe
spähte.
Angela war 1967 heimgekehrt, um in San Diego bei Marcuse ihren Doktor zu machen
und die Black Power aufzumuntern. Sie trat ein in die KP der USA. Setzte die
Dozentenstelle durch gegen den Gouverneur von Kalifornien, Ronald Reagan. 1970
stürmte einer ihrer Leibwächter einen Prozess gegen drei Schwarze,
richtete ein Blutbad an und brachte Angela unter der Anklage "Verschwörung,
Entführung und Mord" ins Gefängnis. Am 4. Juni 1972 sprach das Schwurgericht
sie frei nach einer Flut von Briefen, Bildern, Protesten. Und wer hatte das
geschafft? Das hatten wir geschafft. Sie kam also nach Ostberlin und feierte
mit Erich Honecker, der damals wartete, dass Walter Ulbricht endlich starb.
Doch Angela blieb auch in Freiheit ein Symbol für uns. Ein Mittel sozialistischer
Erziehung in der Schule: Meinst du, Angela hat in Amerika im Kerker ausgehalten,
damit du den Werktätigen in der Kaufhalle die Bonbons klaust? Der Fettfleck
auf dem Heimatkunde-Hefter würde Angela sehr traurig machen! Jede Missetat
stellte sich dar als Rückschlag für die Internationale Solidarität,
den Weltfrieden sowie "die Sache". Aber Angela war frei. Wir waren stolz. Wie
darauf, dass man unsere Schule plötzlich Salvador-Allende-Schule nannte,
nach Chiles gutem Präsidenten, der den Kindern täglich Milch gegeben
hatte und beim Putsch gefallen war. Wir schrieben oder malten jetzt an Pinochet,
den General. Die Schurken hatten ihre Rechnung ohne uns gemacht. Wir schrieben
niemandem so viel wie ihnen.
Wer von uns Glück hatte, durfte 1973 auf den Alexanderplatz, zum großen
Abschlussfest der X. Weltfestspiele. Walter Ulbricht war gestorben, Erich Honecker
ließ sich als Hoffnung feiern. Es ging um "antiimperialistische Solidarität,
Frieden und Freundschaft". Yasser Arafat trat auf, die erste Frau im Weltall,
Walentina Tereschkowa. Dann kam Angela, sie sah wie Jimi Hendrix aus und verlas
den "Appell an die Jugend der Welt": "Damit die junge Generation überall
das Recht erhält auf ein kulturvolles Leben und Freizeit." Unser Einsatz
hatte sich gelohnt. Wir hatten sie im Sommer 1972 freigekämpft.
Nun kommt sie wieder nach Berlin. Ach, Angela. [back down
to Petra Pau picture]
July 20, 2003, Ressort Berliner Illustrirte
Zeitung [link;
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Die Asche meines Vaters
Von Hendrik Werner
"Der Kampf geht weiter": Als die Urne Herbert Marcuses beigesetzt wurde,
klang mancher Ton vertraut
[quick translation by Harold Marcuse]
Kaum, dass die schwarze Urne
in das schmale, von welken Blumen gesäumte Grab am Rande des Dorotheenstädtischen
Friedhofs hinab gelassen worden ist, geht schon die Rede vom ewigen Leben
des teuren Toten. "Wir sind gekommen", sagt sein greiser Sohn Peter mit
in den Hosentaschen versenkten Händen, "um seine Asche zu beerdigen,
nicht aber, um ihn zu beerdigen." Der Kampf im Geiste seines Vaters gehe
weiter: "The struggle continues." Ein besetztes Zitat. Diesen hehren Satz
sprach Rudi Dutschke am Grab des RAF-Terroristen Holger Meins. Immerhin
ballt Marcuse, anders als der Studentenführer, seine Faust allenfalls
verhalten im Beinkleid, als er zur Fortsetzung des Kampfes aufruft. Gegen
gesellschaftliche Repression, gegen ideologische Zumutungen. Herbert Marcuse,
würde er noch unter ihnen weilen, hätte seiner festen Überzeugung
nach an diesem Tag "Weitermachen!" als Parole ausgegeben. "Simply weitermachen!" Er sei charismatisch, präsent und integer gewesen, sagt Angela Davis, die sich in den siebziger Jahren - konträr zu Marcuses Diktum von der "Großen Verweigerung" - vom DDR-Regime einvernehmen ließ. "Er ist nach wie vor gefährlich", beschwört Peter Marcuse die Virulenz seines Vaters. Der Rest ist akademischer Jargon. Ausdrücke wie "affirmative Ideologie" und "repressive Toleranz" sirren durch den Raum, die Sprachregelungen von 1967ff. feiern fröhliche Urständ. Wenn das nicht nostalgisch ist, so ist es doch zumindest gut gespielt. |
The black urn had hardly been let down into the
grave at the edge of the D. cemetery, bordered by wilted flowers, when the
speeches already turned to the eternal life of the dear departed. "We
came," said his aging son Peter with his hands in his pockets, "to
bury his ashes, not to bury him." The struggle in the spirit of his
father continues: "The struggle continues." An already coined
quotation. This noble sentence was spoken by Rudi Dutschke at the grave
of the RAF terrorist Holger Meins. But at least Marcuse balls his fist,
in contrast to the student leader, at most modestly in his pants pocket,
when he calls for the continuation of the fight. Against social repression,
against ideological challenges. Herbert Marcuse, if he were still among
them, would have, he is sure, chosen "Weitermachen!" as his motto.
"Simply weitermachen!" About 80 people, among them along with Berlin's Senator for Culture Affairs Thomas Flierl (PDS) also Marcuse's best-known student, the black American civil rights activist Angela Davis, have gathered on this Friday morning at the cemetery that can be considered the club of the dead poets and thinkers, in order to say something like a final good-bye to the Berlin-born philosopher on the day before his 105th birthday. For the co-founder of critical theory, who with Theodor W. Adorno and Max Horkheimer was one of the most outspoken representatives of the Frankfurt School, had already died in Starnberg during a lecture trip. His interment marks the end of an odyssee. Marcuse was not cremated at the place of his death, but in Austria. Enough people had been burned in Germany, his widow decided at the time. In 1934 Marcuse had to emigrate to the USA because of his Jewish ancestry. At the D. cemetery the mourners recall his roots by reciting the Kaddish. "Like his thought, his death was also a process - from the cremation to this final spot," summarizes grandson Harold pointedly the scholar's long trip home to this grave, that is not far from the final resting places of Marcuse's friend Brecht and his idol Hegel. From 1979 to 2001 his mortal remains were stored unattended, unremembered and unburied in a funeral home in Connecticut, before Peter Marcuse asserted the idea against some family members' resistance, to use the ashes of his fathers to "return to the Germans one of their finest intellectuals." This is not a symbol of reconciliation, his grandson emphasized, recalling the Holocaust on the day before the burial at a memorial colloquium at the Free University, but certainly "a gesture of hope and trust." It is a thoroughly joyful burial. The distance to the date of death seems to be too great, for more than formal gestures of mourning to be evoked. Even if Petra Pau (PDS), when she puts a handful of earth on the urn, appears moved. In the last analysis merely a socialist hope (even if one that couldn't be co-opted) has disappeared into the depths. Also the lack of musical or spoken soft tones, and the casual and colorful dress code nurture the impression that here in the sommer freshness a family celebration is happening on a more joyous occasion than a death. Old-68ers dressed as verterans of the Extra-Pariliamentary-Opposition and hippies can't be recognized at first sight. Probably because they are well-dressed. And because they have long since concluded their long path through the institutions with jobs in the culture industry, as it was known in Marcuse's ideology-critical times. Including the bourgeois habits. Thus descendants weasel equally unorthodoxly as subversively through the rows of graves with stuffed animals, while Angela Davis, graying icon of the resistance against racism, lets herself be told the famous reputation of the cemetery by Gunter Gebauer ("There are many books about this cemetery. It's very famous"). Only RTL head moderator Peter Kloeppel makes a pinched face. Perhaps only because no one recognizes him. And Senator Flierl, who claims to have procured the honorary designation "against absurd burocratic rules," evokes Marcuse as an unbrokenly current "star witness for the necessity of overcoming capitalism." Similarly pathetic sounds could be heard at the memorial colloquium in the main lecture hall of the Free University, where Marcuse almost to the day 36 years ago debated the right to resist with students under the motto "The End of Utopia." A kind of left-wing comradeship evening it is in the year 2003, since relatives and students of Marcuse, along with former heads of student government, who have all attained academic honors, claim with one voice that this is not a nostalgic event. The podium, framed by sunflowers, above which an oversized picture of the deceased towers, speaks a different message, as does the piety of some talks. Only the urn is missing. He was charismatic, current and had integrity says Angela Davis, who in the 1970s - contrary to Marcuse's motto of the "Great Refusal" - was co-opted by the East German regime. "He is still dangerous," claims Peter Marcuse, evoking the virulence of his father. The rest is academic jargon. Expressions such as "affirmative ideology" and "repressive tolerance" swish through the room, the language of 1967ff celebrate a happy revival. If that isn't notalgic, it's at least well-played. |