prepared for the marcuse.org website by Harold Marcuse, July 29, 2003
25.06.2003, Lokales [link]
Philosoph Marcuse erhält ein Ehrengrab in Berlin
by Christine Richter
Der 1979 verstorbene Philosoph Herbert Marcuse erhält ein Ehrengrab auf dem Dorotheenstädtisch-Friedrichswerderschen Friedhof, entschied der Senat. Marcuse war 1898 in Berlin geboren worden. Auf Wunsch seiner Familie wird die Urne aus den USA nach Berlin überführt. Auch das Grab des Historikers Heinrich Gotthard von Treitschke wird zur Ehrengrabstätte. (cri.)
12.07.2003, Lokales [link]
Bestattungen: Ein Cadillac für den letzten Weg
Dilek Güngör
Am kommenden Montag wird er noch einmal einen Toten transportieren, besser gesagt eine Urne. Um neun Uhr kommt an diesem Tag die Asche des Philosophen Herbert Marcuse aus Paris am Gate 14 des Flughafens Tegel an und wird dann in einem Ehrengrab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt. Der Transport dorthin erfolgt - ganz wie die Familie es wollte [note: no, the TV crew ordered it without any input from us!] - in einem schwarz glänzenden Cadillac.
Danach fährt der Wagen aus dem Jahr 1966 ins Deutsche Technikmuseum und wird erst wieder am 30. August bei der Langen Nacht der Museen zu sehen sein. Das Bestattungsunternehmen Ahorn-Grieneisen hat die Limousine dem Museum geschenkt. "Aber wenn eine Familie ihren verstorbenen Angehörigen im schwarzen Cadillac zum Friedhof fahren lassen möchte, wird der Wagen wieder aus dem Depot geholt", sagt Rolf-Peter Lange von Ahorn-Grieneisen. Schließlich sei dieser Wagen ein besonderer Bestattungswagen.
Er war der teuerste der 60er-Jahre und einer der luxuriösesten seiner Art. "75 000 Mark hat er damals gekostet", sagt Lange. An den Seitenfenstern kleben noch immer die stilisierten, goldfarbenen Kränze, die Scheiben sind mit weißem Samt verhüllt, das Chrom ist blank poliert. Die edle Ausstattung hat ihren Grund. In der Limousine wurden häufig Prominente überführt. 1953 Ernst Reuter, Jahre später, 1967, lagen die Leichname von Paul Löbe und von Benno Ohnesorg darin. 1992 wurde im offenen Wagen - das Dach lässt sich abnehmen - der Sarg von Marlene Dietrich vom Roten Rathaus auf den Friedhof in der Stubenrauchstraße nach Friedenau gefahren. Die Trauergäste gingen hinter dem schwarzen Wagen her, viele legten Blumen und Bilder auf den Sarg. "Und vor vier Wochen haben wir den Leichnam von Günter Pfitzmann damit transportiert", sagt Lange. Auch bei der Beerdigung von Hildegard Knef und Heinz Buchholz war der repräsentative Wagen im Einsatz.
Die Limousine mit ihren 6,45 Meter langen Karosserie, dem 2,30 Meter tiefen Sargraum, den acht Zylindern und ihren 263 PS, den Heckflossen und der langen Motorhaube hätte ihre Dienste sicher noch eine Weile getan. "Sie ist noch zugelassen mit Steuern und Versicherung", sagt Lange. Aber der Wagen ist wegen seiner Länge schwer zu fahren, hat keine Servolenkung und beim Schalten muss man Zwischengas geben. "Auf 100 Kilometer braucht er um die 30 Liter Benzin." Zudem lassen sich Ersatzteile nur noch schwer auftreiben. "Und es gibt nur noch zwei Leute bei uns, die den Cadillac fahren können", sagt Stephan Hadraschek von Ahorn-Grieneisen. Er trägt einen schwarzen Anzug und eine Mütze. Die weißen Handschuhe, die sonst zu seiner Fahrer-Uniform gehören, durfte er diesmal weglassen. "Diesen Wagen rückwärts in unsere Waschanlage zu bugsieren, das ist Millimeterarbeit." Hadraschek fährt lieber die neue Limousine, einen schwarzen S-Klasse-Mercedes.
Christine Forster vom Technikmuseum freut sich über das Geschenk. "Besucher können den Cadillac im September an vier Sonntagen in unserem Depot für Kommunalverkehr anschauen", sagt sie. Der glänzende Wagen ist nicht das erste Bestattungsfahrzeug in dem Museum. "Wir haben noch ein, zwei Leichenwagen, die einst wie Kutschen von Pferden gezogen wurden." Forster sagt auch, dass der Wagen ein Stück Berliner Nachkriegsgeschichte dokumentiere. "Deshalb gehört er ins Museum und nicht in Privatbesitz", sagt Rolf-Peter Lange. Ein Sammler hatte ihm für das Auto 75 000 Euro geboten. Der Verlockung hat er widerstanden.
"Wir haben nur zwei Leute, die den Cadillac fahren können." S. Hadraschek, Ahorn-Grieneisen: BERLINER VERLAG/ADN In diesem schwarzen Cadillac wurde am 8. Juni 1967 der Leichnam von Benno Ohnesorg von Berlin nach Hannover überführt. Der Bestattungswagen ist bald im Deutschen Technikmuseum zu sehen.
16.07.2003, Politik [link; back to top]
Die Asche meines Vaters
Neu in Berlin: Eine Urne mit dem Rest von Herbert Marcuse
Jens Balzer
Herbert Marcuse ist wieder in Berlin, am Ort seiner Geburt und seiner schönsten Auftritte vor aufrührerischen Studenten. 24 Jahre nach seinem Tod ist der marxistische Philosoph in einer Urne zurückgekehrt, in Begleitung seines Sohns Peter. Am Freitag, einen Tag vor seinem 105. Geburtstag, sollen die Reste von Marcuse auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt werden.
Ein später "Akt der Gerechtigkeit", wie Peter Marcuse bei der Ankunft in Berlin erklärte - und ein Zeichen dafür, dass "der Kampf weitergeht". Freilich wurde Herbert Marcuse bisher nicht deswegen nicht in Berlin begraben, weil Berlin ihn nicht haben wollte. Die Familie Marcuse hatte die Urne mit ihrem Opa schlichtweg im Friedhofs-Urnenregal vergessen.
Als Marcuse - der 1934 in die USA emigriert war und seit 1965 in San Diego Politologie lehrte - bei einem Deutschlandbesuch 1979 in Starnberg überraschend starb, wurde die Leiche nach Österreich ausgefahren und dort eingeäschert: "In Deutschland sind schon genug Juden verbrannt worden", hatte seine Witwe Erica "Ricky" Sherover befunden; warum das in Österreich anders sein sollte, erläuterte sie allerdings nicht.
Seither stand die Urne mit der Marcuse-Asche in einem Friedhof in New Haven/Connecticut herum - zwar nur unweit des Wohnorts von Sohn Peter; aber erst die Nachfrage eines holländischen Forschers erinnerte die Familie wieder daran. "Wäre es nicht schöner, Herbert irgendwo zu bestatten, wo die Menschen ihn auch besuchen können?", besann sich Sohn Harold und befragte per Rund-E-Mail den Familienrat. Man erörterte ein paar Friedhöfe, die infrage kämen (Berlin-Friedrichshain "neben den Revolutionären"; Berlin-Weißensee "neben Stefan Heym" oder La Jolla in Kalifornien "neben seiner alten Universität - aber wer wird ihn da schon besuchen?") und entschied sich schließlich für den Friedhof in der Berliner Dorotheenstadt.
Nun kommt Marcuse also neben den Gräbern von Fichte und Hegel zu liegen. Ob damit die philosophische Lebensleistung des teuren Toten nicht doch ein wenig überschätzt wird? Immerhin erhält die Stadt ein schönes Spektakel geschenkt - und die Freie Universität einen Herbert-Marcuse-Gedächtnis-Event, bei dem auch seine berühmteste Doktorandin von einst, die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis, noch einmal auf die Barrikaden steigen darf.
Der Marcuse-Clan
Die Urne mit der Asche von Herbert Marcuse ist nun auf dem Dorotheenstädtischen
Friedhof begraben. Die Berliner Feier hatte wenig mit Kritischer Theorie, aber
viel mit einer amerikanischen Familie zu tun - dem Marcuse-Clan. Feuilleton
Seite 9
19.07.2003, Feuilleton [link; back to top]
Arno Widmann
Peter und Frances Marcuse folgen der Urne mit der Asche Herbert Marcuses. Foto Berliner Zeitung/Max Lautenschlaeger |
Seit Freitagmorgen liegt die Asche Herbert Marcuses auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Berliner Chausseestraße. Sein Grab liegt nicht neben denen von Fichte und Hegel. Es liegt nicht bei Bert Brecht, Rudolf Bahro oder Hans Mayer. Es liegt gegenüber dem von Rudi Strahl, dem erfolgreichsten Komödienautor der DDR. Nach der Wende schrieb er u.a. das Drehbuch zu dem Harald-Juhnke-Film "Ein Kerl wie Samt und Seide". Auf dem Grabstein des im Mai 2001 gestorbenen Rudi Strahl steht "Lasst uns die nächste Revolution in einem August beginnen."
Das hätte Herbert Marcuse sicher auch gefallen. Am Grab sprach Peter Marcuse. Er ist der 1928 geborene Sohn Herbert Marcuses, ein Städteplaner, der nach 1989 viel in der DDR unterwegs war, aus dieser Zeit auch seinen Berufskollegen Bruno Flierl, den Vater des derzeitigen Wissenschaftssenators, kennt. Peter Marcuse sprach nur kurz zu den achtzig bis einhundert Anwesenden. Er fing an mit einer Shakespeare-Paraphrase: "We have come to bury my father's ashes; we have not come to bury him." Dann erklärte er, dass sein Vater Materialist war und nicht daran glaubte, dass irgendetwas weiterlebe, wenn der Körper gestorben sei. Man habe sich aber zu dieser Zeremonie entschlossen, um darauf hinzuweisen, dass es darum geht, den Kampf, den Herbert Marcuse gegen Ausbeutung und Unterdrückung geführt habe, weiterzuführen. "Herbert würde sagen" - und das sagte sein Sohn jetzt auf Deutsch: "weitermachen!"
Auch das war eine Paraphrase, aber dem Autor wahrscheinlich nicht bewusst. Herbert Marcuses Freund Rudi Dutschke hatte in Stammheim am Grab Holger Meins gestanden und am Ende seiner Rede die Faust geballt, sie in die Luft gereckt und erklärt: "Holger, der Kampf geht weiter." Nichts könnte Peter Marcuse ferner liegen als diese Geste. Marcuse stand mit gesenktem Kopf, beide Hände in den Hosentaschen da und erklärte den vor ihm stehenden und spielenden Kindern und Enkeln mit ruhiger Stimme, warum er die Urne seines Vaters, von der er nicht mehr gewusst hatte, wo sie war, dann doch gesucht und hierher transportiert hatte. Es war ein Bild selbstbewusster, heiterer Bescheidenheit. Wie eine frühe Illustration zu Hermann und Dorothea [Goethe's story of French-German love during the French Revolution]. Einen Augenblick lang schoss dem Betrachter die Liebe des scharfsinnigen, großen Aufklärers Denis Diderot für die Genrebilder, die bürgerlichen Idyllen eines Greuze durch den Kopf. Der feierlich-angestrengte Friedhofsbeamte, der die zweihundert Meter von der Kapelle bis zum Grab die Urne mit ausgestreckten Armen wie eine Monstranz vor sich hergetragen hatte und sie dann zitternd vor Anstrengung in einem Netz im tiefen Grab versenkte, hätte gut zum Pathos der Greuze schen Bilder gepasst. Aber die Marcuse-Familie war anders. Sie tat alles, um dem Augenblick das Feierliche zu nehmen. Schön sollte die Zeit sein, die man zusammen verbrachte und das hieß vor allem, unangestrengt sollte sie sein.
Eine der ersten amerikanischen Arbeiten Herbert Marcuses war "Autorität und Familie in der deutschen Soziologie bis 1933". In der Studentenbewegung erhielt dieser Text geradezu kanonischen Rang bei der Kritik der überkommenen Familienmodelle. Er spielte 1968 eine zentrale Rolle für die theoretische Begründung beim Experimentieren mit neuen Modellen des Zusammenlebens. Man versteht die bundesrepublikanische Protestbewegung nicht, wenn man nicht begreift, wie ernst sie es nahm, dass Führer und die sich führen ließen, Familienprodukte waren. Ohne die Abschaffung des seit Jahrtausenden bestehenden Familienmodells, das - so die schlichte Übersetzung von "Autorität und Familie" - seit Jahrtausenden autoritäre Charaktere produziert hatte, gab es keine "Befreiung", erklärten die antiautoritären Revoluzzer der Studentenbewegung. Sie hatten ihren Marcuse nicht nur gelesen und - auch in Raubdrucken - propagiert. Sie wollten auch handeln nach ihm.
Die vergangenen zwei Tage der Überführung der Urne Herbert Marcuses aber standen ganz im Zeichen der Familie. Selbst während des Kolloquiums am vergangenen Donnerstag im Audimax der Freien Universität wurde der Enkel Harold Marcuse, ein Historiker, der sich vor allem mit der Verarbeitung des Holocaust durch die ihm folgenden Generationen einen Namen gemacht hat, nicht müde, immer wieder die Familie zu beschwören. Sie hatte sich für den Dorotheenstädtischen Friedhof entschieden, sie hatte auf einer Stadtrundfahrt sich ihre Geschichte vor Augen gehalten. Wenn Harold Marcuse sprach, sprach er nie von sich, er sprach immer im Namen der Familie.
Die Familie hatte auch ein Filmteam beauftragt [no, these were freelancers who had received funding from a German cultural foundation to prepare a documentary film; we did not allow any TV film crews], das ganze Geschehen dieser Tage festzuhalten. Ein richtiger Regisseur, eine Beta-Kamera mit Fernsehformat. Die Marcuse-Familie wollte alles - so hätte noch der Großvater gesagt - schwarz auf weiß haben. Jetzt heißt das Farbe und Ton, fast wie das Leben selbst. Nein, nein schöner als life.
Die Veranstaltungen endeten nach der Beisetzung der Urne mit einer Gesprächsrunde im Brecht-haus. Man muss es sich vorstellen wie bei den anonymen Alkoholikern. Die Betroffenen sitzen im Kreis, und jeder erzählt seine Drogengeschichte. Ist er fertig, so sagt er das, damit die anderen wissen, dass sie jetzt applaudieren können. Das tun sie dann. Ihm zulächelnd, ihn anstrahlend und dann, während sie noch weiterklatschen, suchen ihre Augen nach dem Nächsten, der etwas sagen wird über "meine Geschichte mit Herbert". Der Gegensatz zu den subkutan äußerst kontroversen akademischen deutschen Vorträgen des Vortages könnte nicht stärker sein.
Das Mitglied des Reinickendorfer Soldatenrates von 1919, der Heidegger-Schüler Herbert Marcuse, der scharfe Kritiker der autoritären Institution Familie ist nach seinem Tode zum Chef eines amerikanischen Clans geworden, der in ihm den Urahn eines neuen Geschlechts feiert.
Enkel Harold, der Historiker, hat eine Website der Familie - www.marcuse.org - eingerichtet. Sie sagt nichts über Eltern und Großeltern Herbert Marcuses. Sie beginnt mit ihm. Diese Website markiert in aller Prägnanz den Umschlag von der Kritik zur Restauration der Familie. Die Malversuche der Kinder der Kindeskinder werden dem Publikum offeriert, die reizenden erzählerischen Einfälle - "Titanic Two" - einer Vierzehnjährigen [Miriam was 9 when she wrote this; link]. Nichts ist dem Familiennarzissmus zu klein, um nicht in die Öffentlichkeit geschickt zu werden. Das ist nicht unsympathisch, aber weiter kann man sich von der Kritischen Theorie, von der Erinnerung daran, dass ohne den Vatermord die Menschheit sich niemals aus der Urhorde herausbewegt hätte, nicht entfernen.
Aber sie haben Herbert Marcuses Asche nicht auf die Konsole unter dem Spiegel im Salon ihres - ja auch nicht vorhandenen - Familiensitzes gestellt. Sie haben sie Tausende von Kilometern entfernt beerdigt, damit dort die Leute zu ihm wallfahren. Das ist auch eine Art Vatermord.
Herbert Marcuse ist jetzt der Urahn eines neuen Geschlechts geworden, eines amerikanischen Clans.
prepared for web by Harold Marcuse, July 28, 2003
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