prepared for the Burial
Page of the marcuse.org/herbert website
by Harold Marcuse, July 29, 2003
Highlight: The July 19 page 3 feature story was written by Kirstin Wenzel, who accompanied the family on the Wednesday, July 16, 2003 bus tour and stayed for dinner that evening. I did a quick translation. [jump to article, below] |
There are 3 articles here: a short description of the arrival of the ashes in Berlin, a review of the conference at the Free University on the day prior to the burial, and a long "page 3" feature by Kirstin Wenzel, who accompanied the Marcuse family on their bus tour of Berlin on the Wednesday before the Friday burial. Kirstin spoke with several of us in advance as well, and stayed for dinner afterward, so in spite of the hectic situation of a large family reunion, she was the one journalist who got the best impression of the burial as a family event. July 15, 2003 [back to top] Marcuse wird in Berliner Ehrengrab beigesetzt So ein schwarzer Cadillac fährt am Flughafen Tegel nicht alle Tage vor. Genau genommen wünscht man niemandem, von diesem Gefährt am Flugsteig erwartet zu werden � auch, wenn es sich um einen fotogenen Oldtimer handelt. Der Cadillac ist ein Leichenwagen. Er steht bereit für eine Urne, die gerade aus New York eingetroffen ist. Es ist die Urne von Herbert Marcuse. 24 Jahre ist der Philosoph inzwischen tot, jetzt kehrt seine Asche in seine Geburtsstadt zurück. Am Freitag soll sie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof bestattet werden, flankiert von den Gräbern der Philosophen Johann Gottfried Fichte und Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Marcuse, der neben Max Horkheimer und Erich Fromm zu den Gründern des Frankfurter Instituts für Sozialforschung gehörte, wird auf Beschluss des Senats ein Ehrengrab erhalten. Er starb 1979 während eines Deutschland-Besuchs in Starnberg. Eingeäschert wurde er in Österreich, weil seine Witwe der Ansicht war, dass in Deutschland zu viele Juden verbrannt worden seien. Sein Enkel Harold setzte sich dafür ein, dass Marcuses Asche von New Haven (Conneticut) nach Berlin überführt wurde. Zu Ehren von Marcuse will die FU am 17. Juli außerdem ein Kolloquium abhalten, zu dem neben Harold Marcuse auch die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis erwartet wird. Für den Cadillac, mit dem auch Marlene Dietrich und Benno Ohnesorg transportiert worden waren, war es die letzte Fahrt. Der Wagen kommt ins Technikmuseum. oew July 19, 2003 [back to top] Sicherheitsrisiko oder Träumer? Von Gregor Dotzauer Was immer es war, mit dem er damals, in jenem heißen Juli 1967, die Berliner Studenten packte, es muss etwas gewesen sein wie die Energie, mit der seine berühmteste Schülerin 36 Jahre später an ihn erinnerte: zur selben Zeit, am selben Ort, dem inzwischen denkmalgeschützen Henry-Ford-Bau der Freien Universität. Angela Davis tat am Donnerstag nichts weiter, als das Mikrofon lässig zu justieren, gefährlich nah heranzurücken, ein provozierendes "Good afternoon!" in den Saal zu schleudern und die Kunstpause nach dem Aufprall so auszukosten, bis der Beifall aufbrandete. Da hatte sie zwar noch kein Wort über Herbert Marcuse gesagt, bei dem sie mit einer Arbeit über eine kantische Theorie der Gewalt promoviert hatte. Doch zugleich klang es, als hätte sie zuerst das Volk zur Macht gerufen und danach free love for all gefordert. Und tatsächlich war der Rest vor allem Rhetorik � allerdings mit überwältigender Emphase. Davis, mit 59 Jahren nach wie vor eine Ikone der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und heute Geschichtsprofessorin im kalifornischen Santa Cruz, erklärte, dass sie Marcuse kaum gerecht werden könne. Dass sie von der Riesenhaftigkeit seiner Präsenz noch immer eingenommen sei. Dass er für die Gegenwart größte Bedeutung habe. Und dass man zu gerne wüsste, was er zur heutigen Misere der amerikanischen Politik beizutragen hätte: zur Sicherheitsstrategie von George W. Bush und seiner Cowboy-Diplomatie, zu den jüngsten Verführungsmitteln des Kapitalismus. Und zur Gefräßigkeit der neuesten Kommunikationstechnologien, die sich auf die Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins vorbereiteten.
Vielleicht war schon das der Moment, in dem der Wunsch von Marcuses Sohn Peter zerbrach, im Rahmen des Symposions zur Aktualität seines Vaters (am Rande seiner verspäteten Bestattung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof) nicht der Nostalgie das Wort zu reden, sondern das "Sicherheitsrisiko" Marcuse für das bestehende System zu beschwören. Einige Überlebende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes im Publikum hätten später gar nicht mehr das Wort erheben müssen, um ein altes revolutionäres Pathos aufleben zu lassen. Denn wenn eines von Marcuse nicht überlebt hat, ist es seine zutiefst konservative Kulturkritik. Auch die oft allzu schlichten Kategorien von Repression und Befreiuung sind längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Marcuse als Inspirationsquelle für Globalisierungsgegner zu empfehlen, entspringt dann wohl vor allem dem Wunsch, die eigene Revolte in der einzigen nennenswerten linken Bewegung fortgeführt zu wissen. Mit ein wenig romantischer Fantasie lässt sich Marcuse tatsächlich als der Mann beschreiben, der die Westberliner Studentenrevolte 1967 aus der lokalen Erregung in die Höhen einer internationalen Freiheitsbewegung führte. Zumindest war Marcuse, der gerade "Triebstruktur und Gesellschaft" veröffentlicht hatte, das Buch, in dem sich seine Haupteinflüsse Marx, Lukács und Freud am besten vereinen, ein entscheidender Katalysator. Mit seinem Auftreten brachte er eine frische kalifornische Brise ins verqualmte Audimax, und dass er als Denker mit Weltgeltung, amerikanischer Staatsbürger und emigrierter deutscher Jude die Proteste gegen den Vietnamkrieg der Schutzmacht USA unterstützte, machte ihn geradezu einzigartig. Die Freie Universität besuchte der 69-Jährige vier Jahre, nachdem Eberhard Diepgen dort als AStA-Vorsitzender abgewählt worden war, weil der verschwiegen hatte, dass er einer schlagenden Verbindung angehörte � und sechs Wochen, nachdem der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten beim Besuch des iranischen Schahs erschossen worden war. Und anders als Theodor W. Adorno, der schon einmal im Oberseminar des Literaturwissenschaftlers Peter Szondi zu Gast gewesen war, kam mit ihm ein an politischen Befreiuungskämpfen unmittelbar interessierter Philosoph nach Berlin. Auch deshalb blieb Marcuse, wie Axel Honneth, der Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung erklärte, nicht nur wegen seiner "triebtheoretischen Fassung eines emanzipatorischen Interesses" stets ein Außenseiter der Frankfurter Schule: Sex als Mittel der Rebellion wäre für Adorno undenkbar gewesen. Als Person, so Honneth, bevorzugte er ein "schnörkelloses Auftreten" und einen "ungebrochenen" Schreibstil, während die Frankfurter stets "komplizierte, indirekte Persönlichkeiten" waren und einen "gebrochenen" Stil favorisierten. Er war ein Utopist des Hier und Jetzt, der die Rebellion nicht in die Zukunft verschieben wollte, ein Prediger und ein Weiser mit eigenem Humor, der auch in einer Brechtschen Keuner-Geschichte eine gute Figur gemacht hätte. Denn als Herr M. im Anschluss an seinen Vortrag über "Das Ende der Utopie" von Studenten gefragt wurde, wie sein Konzept einer neuen Anthropologie mit dem Denken von Frantz Fanon und Che Guevara zusammengehe, da antwortete er, dass ihm eine Nachricht aus Hanoi mehr Hoffnung als jede Theorie eingeflößt habe. Dort nämlich seien in der Stadt Sitzbänke aufgestellt worden, auf denen nur zwei Leute Platz finden. Schöner hat noch keiner von der Verbesserung der Welt durchs Miteinanderreden geträumt. |
Tagesspiegel,
July 19, 2003, p. 3
(rough translation by Harold Marcuse) [back to top; to
Ashes Articles main page]
Die Asche meines Vaters Von Kirsten Wenzel Wo ist er eigentlich?, fragte vor zwei Jahren ein Student. Keinen hatte es zuvor gekümmert, wo der 1979 verstorbene Herbert Marcuse begraben war. Jetzt brachte sein Sohn Peter die Urne im Handgepäck über den Atlantik. Die Ikone der 68er-Generation ist in die Heimatstadt Berlin zurückgekehrt. Das ist nicht mein Vater, sagt Peter Marcuse. Der Unterschied ist ihm wichtig, so oft es auch gesagt wird, er nimmt sich jedesmal die Zeit zu korrigieren. Mit feinem Lächeln sagt er dann, nein: nicht Herbert Marcuse wurde gestern begraben, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, es waren nur seine verbrannten Überreste. Daran hing keine Seele mehr und auch kein Geist. Wieso ist das überhaupt wichtig, wo die Asche ist, fragt er sich stirnrunzelnd und stellt damit plötzlich wieder das ganze Projekt in Frage. Warum diese Aufregung um ein Häufchen Mineralsalz? Wenn Enkelsohn Aaron den Großvater so reden hört, rollt er mit den Augen und sagt: "Grandpa, wenn es so wäre, hättest du sie doch einfach wegwerfen können." Stimmt, hat er nicht gemacht. Dann lächelt Peter Marcuse wieder, über die Widersprüche, die das Leben nun mal produziert, wenn man es nur theoretisch genug anschaut. Er ist doch eigentlich Materialist, wie sein Vater es war, Herbert Marcuse, der Philosoph der "neuen Linken", der 1934 vor den Nazis in die USA fliehen musste, der Lieblingsdenker der Studentenbewegung, die Ikone einer ganzen Generation, dessen Bücher sie zusammen mit der Mao-Bibel in ihren langriemigen Ledertaschen umhertrugen. Eine Pappschachtel im Flugzeug Für einen Materialisten kann die Asche keine Bedeutung haben. Doch für einen Sohn, der 75 Jahre alt ist und seinen Vater in das Land zurückbringt, aus dem er 1934 emigrieren musste? Für den, das muss er zugegeben, hat eine wichtige Reise begonnen, als er an einem heißen Julitag die Pappschachtel mit der Urne in die Gepäckablage des Flugzeugs gelegt hat und über den Atlantik geflogen ist. Weil das, was eigentlich nur Staub ist, nun in Berlin sein soll. Die Sicherheitsbeamten beim Check-in blieben vollkommen cool, als die merkwürdige Fracht auf dem Bildschirm erschien, auch sie echte Materialisten und bereits gewöhnt an die Urnen im Handgepäck. Wir sind in Amerika, dem Emigrantenland, aus dem viele Familien irgendwann ihre Toten in die Heimat zurückbringen. Es ist ein aufgeklärtes Land, dieses Amerika, man trägt die familiären Überreste einfach unterm Arm und wohin man will, ohne Behördentamtam. Deshalb war es auch keine Affäre für Herbert Marcuse, die Asche seines Vaters aus dem Bestattungsinstitut in New Haven, Connecticut abzuholen, wo sie seit Jahren geduldig auf ihre weitere Bestimmung wartete. No problem, hieß es am Telefon. Und schon schmückte die Urne das Arbeitszimmer des Städteplaners im Keller seines Einfamilienhauses in Waterbury. Er konnte zu ihr rüberschauen, während er E-Mails schrieb und mit seiner Familie diskutierte, wie es denn nun weitergehen soll mit dem berühmten Ahnen, der schon seit 25 Jahren tot war. Die Geschichte beginnt in Starnberg im Juli 1979 mit einem stillen Gedenken im Garten für einen plötzlich Verstorbenen, der nicht in Deutschland bleiben soll. Die Folgen eines Schlaganfalls, Todestag ist der 29.Juli. Jürgen Habermas ist dabei, der Soziologieprofessor Helmuth Dubiel, die Familie, und auch Rudi Dutschke kommt für ein letztes Adieu herbeigeeilt. Nicht bei den Erben Hitlers soll Marcuse bleiben, seine Frau Ricky will es auf keinen Fall, er soll auch nicht auf deutschem Boden verbrannt werden, sie bringt ihn in ein Krematorium nach Österreich, von dort geht die Urne per Luftpost in die Staaten. Es ist auch wichtig zu wissen, dass die Marcuses sehr aufgeklärte Leute sind, amerikanisch eben, den weltlichen Dingen zugewandt, weit über das Land von Ost- bis Westküste verstreut und immer beschäftigt. Sie sind progressive Juden, erklärt Peter Marcuses Schwiegersohn Philip, zur Beerdigung extra aus New York angereist. Juden im kulturellen Sinne, die Pessach feiern und zum Chanukka-Fest die Kerzen anzünden. Sie glauben an die Vernunft wie Großvater Herbert, geistige Menschen: Professoren, erfolgreiche Autoren, Filmleute, Architekten, die Bücher schätzen und Diskussionen. Kein einziger passionierter Friedhofsgänger ist dabei, und so unterblieb die Beisetzung der Asche einfach, nachdem Herbert Marcuses dritte Frau Ricky wenige Jahre nach ihrem Mann gestorben war, ohne zuvor seine Beerdigung zu arrangieren. Man mag über diese Lässigkeit erstaunt sein, doch wirklich Anlass zur Verwunderung gibt, dass sonst niemand fragte. Kein Journalist und keiner der vielen Anhänger des Philosophen. Keiner von den 3000, die sich im Juli 1967 vier Tage im Audimax der Freien Universität um Marcuse versammelten, um mit ihm über "das Ende der Utopie" und über "Moral und Politik in der Überflussgesellschaft" zu diskutieren. Keiner von denen, die eifrig den "Eindimensionalen Menschen" oder "Triebstruktur und Gesellschaft" studiert hatten, die darin die Begriffe für ihre persönliche und die gesellschaftliche Befreiung zu entdecken hofften. Schlicht niemand hat nach ihm gesucht. Oder sich gefragt, wo er hingehörte. Nach Amerika, wo er seit 1934 lebte und bis an sein Lebensende leben wollte, wo seine Familie ständig wuchs? Oder nach Deutschland, wo er geboren ist, bei Heidegger studiert hat, mit Habermas und Dutschke seine wichtigsten Gesprächspartner fand und in den deutschen Universitäten die meisten seiner Anhänger? Gehörte er in das Land, in dessen Sprache er schon bald seine Bücher schrieb, oder in das, dessen Akzent er willentlich nie abgelegt hat? Eine schwierige Frage, auf die auch Peter Marcuse seine Antwort gern noch ein wenig in die Zukunft verschob. Die Urne stand doch gut da, wo sie stand. So lange, bis ein Student aus Antwerpen im Jahr 2001 eine Mail mit der beiläufigen und doch so nahe liegenden Frage schickte: Wo ist er eigentlich? Fremdes Deutschland Ein blau-weißer Bus fährt Unter den Linden entlang, Sightseeingtour. Peter Marcuse hat seine Familie zur Beisetzung nach Berlin eingeladen, von dem Geld, dass er vor vielen Jahren von seinem Vater geerbt hat. Ein alter Plan, den Kindern Deutschland zeigen, nicht die Wohnung der Eltern in der Bülowstraße, die Spielplätze oder die Schule in Charlottenburg, nein, die Orte in Berlin, die Herbert Marcuse, den Philosophen, politisch geprägt haben. Drei Generationen sind im Bus versammelt, Peters Frau Frances, seine Kinder Harold, Irene und Andrew, die sechs Enkelkinder und auch die Cousinen Tana und Caroll aus England. Harold ist Professor für deutsche Geschichte und Experte für den Holocaust. In 20 Minuten will er seinen Verwandten das Wichtigste über Deutschland erzählen: Paulskirche 1848, Albert Speer, Viermächtestatus, Bismarck, Gründerzeit, die Kapitel rauschen nur so vorbei, die Kinder schlafen, und an den müden Gesichtern der anderen kann man sehen: Es ist zu heiß, etwas viel und vor allem alles sehr weit weg. Harold, der Bücher über Konzentrationslager geschrieben hat,
war in der Familiendebatte der engagierte Anwalt für Berlin, dafür,
dass die Asche seines Großvaters in das Land zurückkehrte,
aus dem er als Jude vertrieben worden war. Seine Schwester Irene, die
Krimiautorin, hielt dagegen, es habe genügend jüdische Asche
in Deutschland gegeben, und schlug Orte vor, an denen ihr Großvater
einfach als Privatmensch glücklich war: das kalifornische Naturressort
Torrey Pines, mit Lagunen und Steilküsten, an denen er oft spazieren
ging, oder Pontresina in der Schweiz. Sie ließ sich umstimmen von
Harolds Begeisterung und dem Argument, 40 Jahre Wüste für die
Deutschen seien genug. Und der Sohn, Peter? Der prüft immer noch,
schaut ernst aus dem Fenster, hofft, dass die Entscheidung richtig war.
Er plant für den nächsten Tag eine Tour nach Sachsenhausen,
auch das muss die Familie sehen, und er hält während der Fahrt
Ausschau nach dem guten Deutschland, findet es am Landwehrkanal - am Denkmal
für Rosa Luxemburg. Hier hat sich Herberts politisches Bewusstsein
gebildet, erinnert Peter seine Kinder: Als er im Ersten Weltkrieg als
Stallknecht in der Reinickendorfer Kaserne dem Soldatenrat beitrat und
der SPD, und nach dem Mord an Liebknecht und Luxemburg sofort wieder austrat.
Danach blieb er sein Leben lang ein unabhängiger Linker, ohne Partei,
und Freund aller Dissidenten und Einzeldenker, von Solidarnosc bis Rudolf
Bahro. Die Asche seines Vaters wartet zu diesem Zeitpunkt schon längst in der Leichenhalle des Dorotheenstädtischen Friedhofs, gleich vom Flughafen in der Limousine eines Bestattungsunternehmens fortgebracht, wie es in Deutschland nun mal Vorschrift ist. Berlin stiftet dem späten Heimkehrer ein Ehrengrab, dort, wo auch die von Marcuse verehrten Hegel, Brecht und Bahro liegen, nur ein bisschen weiter am Rand, vielleicht 50 Meter von Hegel entfernt, ein kleines Urnenplätzchen. Freitagmorgen 10 Uhr 30. Verwandte, Freunde und Marcuse-Leser haben sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof versammelt, und es ist, als habe der Philosoph, von DDR-offizieller Seite stets als Renegat beschimpft, die Ostdeutschen nachhaltiger als die Westdeutschen beeindruckt. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau ist gekommen, der ehemalige PDS-Abgeordnete und Rektor der Humboldt-Universität, Heinrich Fink, Autor Wolfgang Engler, Kultursenator Thomas Flierl, der auch das Ehrengrab organisiert hatte, und die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis. Flierl gibt ihr am efeuberankten Grab von Hegel die Hand. Friedhof der linken Utopie Die Konferenz an der FU gehörte den Westdeutschen, so sieht es aus, die Beisetzung auf dem Friedhof der "linken Utopie" ist die Sache der Ostdeutschen. Die wenigsten tragen Schwarz, das würde nicht passen für einen wie Marcuse, und natürlich gibt es keinerlei religiöse Zeremonie. Der Sohn Peter beschwört die Aktualität der Philosophie seine Vaters. Er will kämpfen gegen das drohende Vergessen, die Historisierung von Herbert Marcuse. Von "Denkmalpflege" spricht man liebevoll spöttisch im zu Klampen Verlag, in dem die nachgelassenen Schriften des Philosophen zurzeit erscheinen, gerade einmal mit einer Auflage von 2000 Stück. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Marcuse 1964 eine Honorarprofessur an der Freien Universität erhalten hätte, die eine Zeit in Aussicht stand. Vielleicht hätten ihn die Deutschen dann nicht so schnell vergessen. Die Hände in den Hosentaschen, steht Peter Marcuse vor dem Grab seines Vaters. Der Stein fehlt noch und natürlich auch die Inschrift. Es müsste etwas Kurzes sein, für das kleine Grab. "Weitermachen" hat sein Vater immer gesagt. Peter Marcuse überlegt, aber auch damit kann er sich Zeit lassen, auf ein paar Monate kommt es jetzt nicht mehr an. Er weiß, was sein Vater davon gehalten hätte. Es hätte ihn amüsiert. Acht Jahre vor seinem Tod hat sein Vater in einem Interview gesagt: "Ich bin ein geborener Berliner. Aus irgendeinem Grund freut mich das heute noch. Wahrscheinlich wegen des berühmten Berliner Humors oder sonst etwas." Das alles ist wichtig für uns, aber nicht mehr für ihn, sagt sein Sohn. Der Tod, hat der alte Norbert Elias gesagt, ist ein Problem der Lebenden. |
The Ashes of my Father By Kirsten Wenzel Where is he actually?, a student asked two years ago. Before that noone had bothered to ask where the 1979 deceased Herbert Marcuse was buried. Now his son Peter brought the urn in his carry-on luggage across the Atlantik. The icon of the '68 generation has returned to his home city of Berlin. That is not my father, says Peter Marcuse. The distinction is important to him; as often as it's said, he takes the time to correct it. With a slight smile he says then: no, Herbert Marcuse is not buried in the D. cemetery in Berlin, it's just his cremated remains. There was no soul in there and no spirit. Why is it important, where the ashes are, he asks, furrowing his brow, and thereby calls the whole enterprise into question. Why all the excitement about a little pile of chemicals? When grandson Aaron hears his grandfather talking like that he rolls his eyes and says: "Grandpa, if that were true you could have just thrown them away." True, he didn't do that. Then Peter Marcuse smiles again, about the contradictions that life does produce, if you just look at it theoretically enough. But he's actually a materialist, like his father was, Herbert Marcuse, the philosopher of the "new left," who had to flee from the Nazis to the USA in 1934, who was the favorite thinker of the student movement, the icon of a whole generation, whose books they carried around in their long-strapped leather briefcases along with the Mao-bible. A cardboard box in the airplane For a materialist the ashes can't have any meaning. But for a son who is 75 years old and returns his father to the country from which he had to emigrate in 1934? For him, he has to admit, an important trip began when on a hot July day he put the cardboard box with the urn in the overhead compartment of the airplane and flew across the Atlantik. Because that which is actually just dust is now supposed to be in Berlin. The security officials at the check-in stay completely calm when the
strange cargo appears on their screen; they, too, true materialists and
already used to urns in carry-on luggage. We are in America, the land
of emigres, from which many families sooner or later bring their dead
back to the homeland. It is an enlightened land, this America; you can
simply carry personal remains under your arm, to wherever you want, without
bureaucratic interference. That's why it wasn't a big deal for Herbert
[sic] Marcuse to pick up the ashes of his father from a funeral parlor
in New Haven, Connecticut, where they have been waiting patiently for
years for their final disposition. "No problem" was the answer
on the phone. And soon the urn decorated the study of the city planner
in the cellar of his one-family house in Waterbury. He could look over
to it while he wrote e-mails and discussed with his family what should
happen with the famous ancestor, who was already dead for 25 years.
A blue-white bus drives along Unter den Linden, on a sightseeing tour. Peter Marcuse has invited his family to the burial in Berlin, with the money that he inherited many years ago from his father. An old plan, to show the children Germany, not the apartment in the Bülowstraße, the playgrounds in Charlottenburg, no, the places in Berlin that left their political stamp on Herbert Marcuse, the philosopher. Three generations are gathered in the bus, Peter's wife Frances, his children Harold, Irene and Andrew, the six grandchildren and also his cousins Tana and Carol from England. Harold is professor for German history and expert on the Holocaust. In 20 minutes he tries to tell his relatives the most important things about Germany: Paulskirche 1848, Albert Speer, Four-Power-Status, Bismarck, Gründerzeit, the chapters just rush past, the children sleep, and on the tired faces of the others you can see: It is too hot, a little to much and especially everything is very far away. Harold, who wrote books about concentration camps, was the committed
advocate in the family discussion for Berlin, for bringing the ashes of
his grandfather back to the country out of which he was driven as a Jew.
His sister Irene, author of mysteries, countered that there were already
enough Jewish ashes in Germany, and suggested places where her grandfather
was happy as a private person: the Californian nature preserve Torrey
Pines, with lagoons and bluffs, where he often took walks, or Pontresina
in Switzerland. She let herself be persuaded by Harold's enthusiasm and
the argument that 40 years in the desert were enough for the Germans.
And the son, Peter? He's still considering, looking earnestly out of the
window, hoping that the decision was right. He's planning a trip to Sachsenhausen
the next day, that, too, the family must see, and he's looking during
the tour for the good Germany, finds it on the Landwehrkanal - on the
monument for Rosa Luxemburg. Here Herbert's political consciousness was
formed, Peter reminds his children: When, as a stable boy in the Reinickendorf
barracks he joined the soldiers' council and the SPD, and after the murder
of Liebknecht and Luxemburg immediately left again. After that he remained
a lifelong independent leftist, without party affiliation, a friend of
all dissidents and independent thinkers, from Solidarnosc to Rudolf Bahro. Friday morning, 10:30. Relatives, friends and Marcuse-readers have gathered at the D. cemetery, and it looks like the philosopher, constantly called a renegade by East German officialdom, has impressed the East Germans more lastingly than the West Germans. PDS member of parliament Petra Pau has come, the former PDS representative and rector of the Humboldt University, Heinrich Fink, author Wolfgang Engler, Senator for Cultural Affairs Thomas Flierl, who also organized the honorary designation, and the black civil rights activist Angela Davis. Flierl takes her hand at Hegel's grave. Cemetery of the left-wing utopia The conference at the FU belonged to the West Germans, it appears, the
burial at the cemetery of the "left-wing utopia" is for the
East Germans. Only a few wear black, that wouldn't be appropriate for
someone like Marcuse, and naturally there isn't any religious ceremony.
[well, we did say Kaddish, a night-before decision] |
Mitarbeit: Werner van Bebber