Jutta Ditfurth was one of the founders of the West German Green
Party in the late 1970s. In her autobiography she tells about the influence
her exposure to Herbert Marcuse had on her political orientation.
This page on the marcuse.org/herbert site collects some
documents about Ditfurth's life and Herbert's influence on her.
Junge Welt, 27.04.2002
Marcuses Kopfwerkzeuge
Jutta Ditfurths neues Buch ist gleichermaßen Autobiographie und bundesdeutsche
Sittengeschichte
Rainer Balcerowiak
Jutta Ditfurth: Durch unsichtbare Mauern. Wie wird so eine links? Kiepenheuer&Witsch, Köln 2002, 285 Seiten, 19,90 Euro
"Wie wird so eine links?" lautet die eher rhetorische Frage im Untertitel des neuen Buches von Jutta Ditfurth. Die Mitbegründerin der Grünen-Partei, zeitweilig deren Bundessprecherin und nach ihrem Austritt 1991 eine der profiliertesten Kritikerinnen der Rechtsentwicklung der Grünen, mischt dabei individuelle Sozialisationserfahrungen mit locker eingestreuten Reminiszenzen an die Ereignisse in der Nachkriegszeit, deren Dimensionen der 1951 geborenen Publizistin erst im späteren Lauf ihres Lebens bewußt wurden.
Aufgewachsen in einem eher liberalen Elternhaus, das wiederum in ein familiäres Umfeld stockreaktionärer Adelsfamilien eingebettet war, verbrachte Ditfurth ihre Kindheit in der westdeutschen Provinz. Stück für Stück eruiert sie die aktive und passive Teilhabe ihrer Familie an der faschistischen Barbarei in Deutschland und beschreibt anekdotenreich die Versuche von Familienangehörigen und Lehrern, ihr die "natürliche" und "gottgewollte" Überlegenheit des Adelsstandes einzutrichtern. Ihr Vater Hoimar von Ditfurth, ein erfolgreicher Psychologieprofessor und Verhaltensforscher, gab ihr jedoch jederzeit die Chance, alltägliche Dinge wie auch weltpolitische Ereignisse und philosophische Denkansätze zu hinterfragen. Früh stößt sie auf unauflösliche Widersprüche, lernt den alltäglichen Rassismus von der "Höherwertigkeit" der "weißen Rasse" auch in bürgerlich-liberalen Kreisen und die Ausgrenzung von Kindern aus sozial schwächeren Schichten von höherer Schulbildung kennen.
Die festgelegten Rollen im Zusammenleben von Mann und Frau bleiben für die Heranwachsende stetiger Quell für bohrende Fragen und wachsende Wut. In einer von ihr im Buch zitierten DGB-Studie konnte man Ende der 50er Jahre noch lesen: "Das weibliche Denken ist vergleichbar mit einer fotographischen Platte, das männliche ähnelt der Tätigkeit eines Zeichners. Die Platte ist empfangend, der Zeichner aktiv".
Wie für viele Menschen ihrer Generation war der 2. Juni 1967 - die Erschießung Benno Ohnesorgs in Westberlin - auch für sie ein Lebenswendepunkt und der Beginn einer ebenso rationalen wie emotionalen Abkehr von kapitalistischer Herrschaft.
Sie erlebte ihren "Summer of love" im Sommer 1967 mit Drogen, Politik, Sex, Jimi Hendrix und allem, was sonst noch dazugehört, in einem dänischen Feriencamp. Es folgte die erste Lektüre der Werke von Karl Marx und der amerikanischen "Beat"-Literatur. Im Zeitraffer jagt die Autorin von nun an in dem Buch durch die weiteren Ereignisse: der Protest gegen den Vietnamkrieg, die Intervention der UdSSR in der CSSR, die bundesweiten Aktionen gegen Fahrpreiserhöhungen und schließlich die ersten Vorboten des bewaffneten Kampfes in der BRD. Als Abiturientin entschließt sich Ditfurth, nicht ihr geliebtes Hobby Malerei zu studieren, sondern Kunstgeschichte und Politik. Sie erlebt an der Uni Heidelberg die kurze Blüte und den Zerfall der Parteigründungsversuche aus der Konkursmasse des 1970 aufgelösten "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (SDS) und die militante Antipsychiatriebewegung, die aufgrund der beruflichen Tätigkeit ihres Vater ihr besonderes Interesse findet. Später wechselt sie zur Uni Freiburg, wo sie Herbert Marcuse kennenlernt, der für Ditfurths konsequente Gegnerschaft zum herrschenden Gesellschaftssystem entscheidend wurde: "Wir konnten uns den herrschenden Verhältnissen verweigern, wir mußten nicht systemtreu und angepaßt funktionieren", war für sie die Quintessenz der Werke des Philosophen. "Er machte uns Mut, half uns bei der Herstellung der Kopfwerkzeuge für den Ausbruch."
Nach einem Studienaufenthalt in Schottland, der besonders von den damaligen Bergarbeiterstreiks geprägt war, kehrte Ditfurth nach Deutschland zurück und engagierte sich zunächst beim Sozialistischen Büro, einer "undogmatischen" linken Gruppe, die sowohl Distanz zur DKP als auch zu den maoistischen Gruppen hielt, und begann wenig später ihre Karriere als Publizistin.
Das Buch endet mit der erstarkenden Antiatomkraftbewegung und den ersten Geburtswehen der künftigen Grünen-Partei. Was folgte, ist eine andere Geschichte, und die hat Jutta Ditfurth bereits vor zwei Jahren aufgeschrieben. Lesenswert ist "Durch unsichtbare Mauern" sicherlich als kleine Sittengeschichte der Nachkriegs-BRD, auch wenn die Autorin das eine oder andere Mal die Klippen larmoyanter Selbstbespiegelung nicht sicher umschifft.
prepared for the web by Harold Marcuse on July 29, 2003
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