Junge
Welt
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Junge Welt, 23.01.2001 Pro Subjekt, contra Subjekt
Herbert Marcuse soll ja neuerdings wieder unglaublich in sein, stand letztens irgendwo zu lesen. Schiebt man die große Portion an Zweifeln beiseite, die einen da schon beschleichen können, bleibt immerhin bestehen, daß der Sozialphilosoph einst aus lautersten Gründen beim US-Geheimdienst anheuerte. Lauter sind Herbert Marcuses Schriften ebenfalls. Ganz außergewöhnlich sogar. Auge in Auge mit dem falschen Ganzen legte der Theoretiker gleich reihenweise halbe Sachen vor. Die Triebstruktur sei falsch, der Mensch gerate zunehmend eindimensional, die Welt sei nurmehr verwaltet - all das analysierte Marcuse mit seiner begrifflichen Melange aus Marxismus Lukacsscher Prägung und Freudscher Psychoanalyse. Daß er dabei oft auf halbem Weg stehen blieb und theoretischen Abkürzungen nicht abgeneigt war, warfen ihm schließlich nicht nur die alten Weggefährten Teddy und Max vor. Doch eines hatte Marcuse ihnen voraus: Bei ihm blieb die Hintertür stets offen. Durch die konnte man plötzlich wieder ins falsche Ganze eindringen und dort wahlweise kämpfen, stören, eingreifen oder sich verweigern. "Rebellische Subjektivität" hieß das dann. Ein nur selten ausgesprochenes Schlagwort, das jedoch in seinen Schriften stets als Fluchtpunkt aufblitzt, denn Marcuse schmiedete seine Pläne aus einem geradezu genialen Verständnis von Pop heraus. Einerseits seriös genug, um im akademischen Kanon bestehen zu können, andererseits an genau den richtigen Stellen in der nötigen luftig-unpräzisen Suggestibilität gehalten. Ganze Generationen von Geisteswissenschaftsstudenten witterten nach der Lektüre plötzlich Handlungsoptionen: So könnte der Umsturz funktionieren. "Ich schau Dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang", heißt es nun in einer Kongreßankündigung aus Frankfurt/Main, und zumindest der Duktus läßt in der Tat auf die Existenz dieser ausgerufenen neuen Marcuse-Hipness schließen. Das "Problem der Subjektivität und des falschen Bewußtseins" soll theoretisch eingekreist werden, doch angesichts der apostrophierten Podiumsteilnehmer stolpert man förmlich über derart entschiedene Sprachwahl. Dort tummeln sich größtenteils Diskutanten, denen in den vergangenen Jahren nicht unbedingt allzugroße Nähe zu analytischen Termen wie dem "falschen Bewußsein" nachgewiesen werden konnte. Aus guten Gründen, versteht sich, man will ja schließlich nicht nur ein bißchen diskutieren. Das "rassistische Subjekt" werden beispielsweise der Foucault-Spezialist Jürgen Link (KulturRevolution), der ehemalige Spex-Buchrezensent Mark Terkessidis und Leute von Kanak Attak diskutieren. Weitere Podien finden zu den Themen Geschlechterverhältnisse, Postfordismus und Subjektivität sowie zum Komplex Kulturindustrie statt. Tenor der Veranstaltung: "Wie kann das emphatisch mit aufklärerischen Attributen versehene Subjekt gegen Herrschaft in Anschlag gebracht werden? Oder stellen Souveränität und personale Integrität selbst nur perfide Herrschaftstechniken dar? So soll unter Betrachtung dieser beiden subjekttheoretischen Pole die Erkenntnis reifen, daß Identität als notwendiges strategisches Provisorium einer radikaldemokratischen Kultur reflektiert zu verteidigen ist." Bleibt nur abzuwarten, ob das alle so sehen werden. Marek Lantz Junge Welt, 03.02.2001 Auf der Suche nach einer gesellschaftlichen Utopie und einer Methode zur Analyse der bürgerlichen Gesellschaft in der BRD wurde die studentische Oppositionsbewegung der späten 60er Jahre in der BRD nicht nur bei den marxistischen Klassikern fündig. Einen besonderen Stellenwert in der Theoriebildung der 68er nahmen die Werke der "Kritischen Theorie" ein. Wichtigste Vertreter dieser auch unter dem Namen "Frankfurter Schule" bekannten philosophischen Richtung waren Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse. Während erstere die gesellschaftlichen Mißstände in der spätkapitalistischen Gesellschaft zwar kritisierten, aber keine konkreten Lösungsansätze anbieten wollten und konnten, entwickelte Marcuse in seinen Werken auch Widerstandsszenarien und Handlungskonzepte. Seine Werke zählen zu den wichtigsten Büchern der Kritischen Theorie und zu den Standardwerken der Studentenbewegung der 60er Jahre in den USA und Westeuropa. Der am 19. Juli 1898 als Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten in Berlin geborene Marcuse engagierte sich nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 in den Arbeiter- und Soldatenräten in Berlin und begründete nach dem vorläufigen Abschluß seiner historischen und philosophischen Studien 1922 zusammen mit Erich Fromm und Max Horkheimer das Institut für Sozialforschung in Frankfurt/Main. 1934 floh Marcuse vor den Nazis nach New York, wo er Mitglied des Instituts für Sozialforschung an der Columbia- University wurde. 1940 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. In den nächsten Jahren folgten Professuren an der Harvard-University in Cambridge (Massachusetts) und an der Universität von Kalifornien in San Diego. In den 60er Jahren erschienen auch seine Hauptwerke "Triebstruktur und Gesellschaft" und "Der eindimensionale Mensch". Hierin verdeutlichte Marcuse, daß im kapitalistischen System zwar dank immer neuer Technologien die anfallenden Krisen bewältigt werden könnten, jedoch nur um den Preis der Manipulation und des Konformismus. Dem könne man sich nur durch Verweigerung und Widerstand entziehen. Nahezu kultische Bedeutung in der Studentenbewegung erlangte seinerzeit jedoch sein Essay zur "repressiven Toleranz", das 1966 auch in Deutsch in dem Sammelband "Kritik der reinen Toleranz" bei Suhrkamp veröffentlicht wurde. Seine Vorlesungen als Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin 1967 wurden zu Kaderschmieden der außerparlamentarischen Opposition (APO). Marcuse behielt aber seinen Lebensmittelpunkt in Kalifornien. Er starb am 29. Juli 1979 während eines privaten Besuchs in der Bundesrepublik in Starnberg. Marcuse definiert das Postulat der Toleranz in der formierten kapitalistischen Gesellschaft als bürgerlichen Kampfbegriff und gelangt zu dem Schluß, "daß die Verwirklichung der Toleranz Intoleranz gegenüber den herrschenden politischen Praktiken, Gesinnungen und Meinungen" voraussetzt. Die Idee der Toleranz sei in ihren Ursprüngen zu Beginn der Neuzeit "ein parteiliches Ziel, ein subversiver, befreiender Begriff und eine ebensolche Praxis" gewesen und diene heute "in vielen ihrer wirksamsten Manifestationen den Interessen der Unterdrückung". Als Beispiel nennt Marcuse die den Menschen in "demokratischen" Gesellschaften als "notwendig für die Erhaltung des Status quo" abverlangte Toleranz gegenüber zerstörerischen Praktiken wie nuklearen Kriegen, neokolonialistischen Massakern und sinnloser Überproduktion. "Diese Art von Toleranz stärkt die Tyrannei der Mehrheit", so Marcuse. Allseitige Toleranz sei nur dann möglich, "wenn kein wirklicher oder angeblicher Feind die Erziehung und Ausbildung des Volkes zu Aggressivität und Brutalität erforderlich macht. Solange diese Bedingungen nicht herrschen, sind die Bedingungen der Toleranz "belastet": sie werden geprägt und bestimmt von der institutionalisierten Ungleichheit, das heißt von der Klassenstruktur der Gesellschaft. In einer derartigen Gesellschaft wird Toleranz de facto eingeschränkt auf dem Boden legalisierter Gewalt oder Unterdrückung (Polizei, Armee, Aufseher aller Art) und der von den herrschenden Interessen und deren "Konnexionen" besetzten Schlüsselstellungen. Eine befreiende Toleranz müsse hingegen "Intoleranz gegenüber Bewegungen von rechts bedeuten", die sich "ebenso auf die Ebene des Handelns erstrecken wie auf die der Diskussion und Propaganda, auf Worte wie auf Taten". Die Bedingungen, unter denen Toleranz wieder eine "befreiende und humanisierende Kraft" werden kann, seien erst herzustellen. "Wenn Toleranz in erster Linie dem Schutz und der Erhaltung einer repressiven Gesellschaft dient, wenn sie dazu herhält, die Opposition zu neutralisieren und die Menschen gegen andere und bessere Lebensformen immun zu machen, dann ist Toleranz pervertiert worden. Und wenn diese Perversion im Geist des Individuums anfängt, in seinem Bewußtsein, seinen Bedürfnissen, wenn heteronome Interessen Besitz von ihm ergreifen, ehe es seine Knechtschaft erfahren kann , dann müssen die Anstrengungen, seiner Entmenschlichung entgegenzuwirken, am Eingang beginnen, dort, wo das falsche Bewußtsein Form annimmt (oder vielmehr: systematisch geformt wird) - sie müssen damit beginnen, den Werten und Bildern ein Ende zu bereiten, die dieses Bewußtsein nähren. Das ist allerdings Zensur, sogar Vorzensur, aber eine, die sich offen gegen die mehr oder weniger verkappte Zensur richtet, welche die Massenmedien durchdringt. Wo das falsche Bewußtsein im nationalen und Massenverhalten vorherrschend geworden ist, übersetzt es sich fast augenblicklich in Praxis: der beruhigende Abstand von Ideologie und Wirklichkeit, von repressivem Denken und repressivem Handeln, zwischen dem zerstörerischen Wort und der zerstörerischen Tat verkürzt sich gefährlich. So kann das Durchbrechen des falschen Bewußtseins den archimedischen Punkt liefern für eine umfassendere Emanzipation". Was Marcuses Essay damals wie heute so brisant macht, ist sein unmißverständliches Bekenntnis zu revolutionärer Gewalt. "Ich glaube, daß es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein 'Naturrecht' auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben. Gesetz und Ordnung sind überall und immer Gesetz und Ordnung derjenigen, welche die etablierte Hierarchie schützen; es ist unsinnig, an die absolute Autorität dieses Gesetzes und dieser Ordnung denen gegenüber zu appellieren, die unter ihr leiden und gegen sie kämpfen - nicht für persönlichen Vorteil und aus persönlicher Rache, sondern weil sie Menschen sein wollen. Es gibt keinen anderen Richter über ihnen außer den eingesetzten Behörden, der Polizei und ihrem eigenen Gewissen. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte. Da man sie schlagen wird, kennen sie das Risiko, und wenn sie gewillt sind, es auf sich zu nehmen, hat kein Dritter, und am allerwenigsten der Erzieher und Intellektuelle, das Recht, ihnen Enthaltung zu predigen." Dieses Postulat war in weiten Teilen der 68er Bewegung unumstritten. Der Großteil der entsprechenden Debatten drehte sich um die eher moralische und taktische Frage, ob eine Grenze zwischen "Gewalt gegen Sachen" und "Gewalt gegen Personen" zu ziehen sei. Der Teil der Bewegung, der eine entsprechende Unterscheidung als "kleinbürgerlich" ablehnte, bildete den intellektuellen Humus für die Gründung der "Roten Armee Fraktion", die sich in fataler Fehleinschätzung der realen Kräfteverhältnisse den bewaffneten Kampf gegen das "Schweinesystem" auf die Fahnen geschrieben hatte. Andere 68er wie der heutige Bundesumweltminister Jürgen Trittin haben sich erst später, als Minister der ersten deutschen Kriegsregierung nach 1945, für die Anwendung terroristischer Gewalt gegen Menschen entschieden. Auch das spricht dafür, Marcuses Bekenntnis zu einer aktiven militanten Intoleranz gegenüber dem menschenverachtenden kapitalistischen System auch heute zur materiellen Gewalt werden zu lassen. Herbert Marcuse: Repressive Toleranz in: Wolff, Moore, Marcuse: Kritik der reinen Toleranz, deutsch bei Suhrkamp 1966. Nach wie vor im Buchhandel 29.01.2003, Feuilleton War, Freedom & Democracy Militante Kritische Theorie 2: Die Argumente der bellizistischen Linken stammen aus den späten Sechzigern � eingeführt von Max Horkheimer Kriege führen, um ein neues Auschwitz zu verhindern? Die USA wider Willen als letzte Bastion gegen die Wiedergänger Hitlers? Antiamerikanismus gleich Antisemitismus? Viele Argumente und Pseudoargumente der linken Bellizisten heute sind von gestern: aus den Reden und Schriften von Max Horkheimer, neben Theodor W. Adorno Spiritus Rector des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt a. M., gegen die Antivietnamkriegsbewegung. Horkheimers öffentliche Intervention beginnt im Mai 1967 mit einer Kritik linker Studenten, die gegen die traditionelle Deutsch-Amerikanische Freundschaftswoche in Frankfurt aufgetreten waren. "Wenn in Amerika es gilt, einen Krieg zu führen ..., so ist es nicht so sehr die Verteidigung des Vaterlandes, sondern es ist im Grunde die Verteidigung der Verfassung, die Verteidigung der Menschenrechte ... Derjenige, der urteilt, der soll ... wenigstens, wenn er von Vietnam redet, daran denken, daß wir hier nicht zusammen wären und frei reden könnten, wenn Amerika nicht eingegriffen hätte und Deutschland und Europa vor dem furchtbarsten totalitären Terror schließlich gerettet hätte." In seinen Notizen schrieb Horkheimer kurz zuvor: "Aber mit einiger Sicherheit läßt sich sagen, daß der Rückzug [der USA � Red.] nicht bloß ein fürchterliches Blutbad in Südvietnam bedeuten, sondern auch den Weg der Chinesen zum Rhein wesentlich beschleunigen würde. Ganz Asien würde chinesisch werden. Aber die Intellektuellen sehen nur das Grauen dieses Krieges, die scorched earth policy [Politik der verbrannten Erde � Red.] der amerikanischen Kriegführung. Was sie nicht sehen, ist die Hölle einer chinesischen Weltherrschaft." An anderer Stelle notierte er ebenfalls im Mai 1967: "Überraschend ist der Umstand, daß überall dort, wo der Anti-Amerikanismus sich findet, auch der Antisemitismus sich breit macht. Die durch den Niedergang der Kultur bedingte allgemeine Malaise sucht nach einem Schuldigen, und aus den oben angedeuteten und anderen Gründen findet sie die Amerikaner und in Amerika selbst wieder die Juden, die angeblich Amerika beherrschen." Es ist unstrittig, daß der Vietnamprotest der westdeutschen Studentenbewegung zum Teil nationalistische Züge trug, etwa bei Rudi Dutschke, und sich bei dem heutigen NPD-Chefideologen Horst Mahler schon frühzeitig primitiver Antiamerikanismus mit Antizionismus und Antisemitismus verband. Doch Horkheimer verallgemeinerte unzulässig, wenn er daraus auf einen insgesamt reaktionären Charakter der damaligen Pazifisten und Antimilitaristen schließt, vor allem, wenn er so auch die Bewegung außerhalb von Westdeutschland und Westberlin qualifiziert. Herbert Marcuse, Horkheimers alter Kollege aus dem Frankfurter Institut und aus der Emigration in den USA, dürfte jedenfalls ebenso wenig im Verdacht des deutschnational oder gar antisemitisch motivierten Antiamerikanismus stehen wie Horkheimer selbst. Genau dieser Marcuse trat nun Horkheimer entgegen. Die Auseinandersetzung zwischen dem Frankfurter Professor und seinem in Kalifornien gebliebenen früheren Mitstreiter entfaltete sich in einem über Jahre dauernden Briefwechsel, der wegen seines exemplarischen Charakters hier kurz referiert sei. Horkheimer: "Ich sprach über das sogenannte Nationalgefühl der letzten 150 Jahre und meinte, in Deutschland habe es sich mehr aufs Vaterland, in Amerika mehr auf die Constitution und die Bürgerrechte bezogen." Marcuse: "Wenn die 150 Jahre die letzten 20 einschließen, ist wohl eher das Gegenteil der Fall: die Reduktion der Bürgerrechte und die Versuche, die Constitution zu umgehen, sind auf der Tagesordnung, und das �Nationalgefühl� meint immer brutaler die imperiale Weltmacht der USA." Horkheimer: Die USA hülfen dabei, "...das Übergreifen totalitärer Gewalten auf die Teile der Welt, wo Freiheit noch ein Dasein hat, wenn nicht zu verhindern, so doch zu verzögern". Marcuse: "Aber waren es nicht die Amerikaner, die, wo auch immer in ihrem globalen Interessenfeld eine genuin linke Bewegung aufzukommen schien, diese Bewegung blutig unterdrückt haben (auch hier wieder meistens mit Schergen des betreffenden Landes)? Waren es nicht die Amerikaner, die ruchlos �totalitäre Gewalten� installierten: in Südamerika, Mittelamerika, Griechenland, Südvietnam? Allerdings kann ich nicht einen Begriff von �totalitär� akzeptieren, der von vornherein so definiert ist, daß er nur auf ein kommunistisches Regime anwendbar ist." Horkheimers Fazit findet sich im Vorwort zur Neuauflage seiner Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung: "Die sogenannte freie Welt an ihrem eigenen Begriff zu messen, kritisch zu ihr sich zu verhalten und dennoch zu ihren Ideen zu stehen, sie gegen Faschismus Hitlerscher, Stalinscher oder anderer Varianz zu verteidigen, ist Recht und Pflicht jedes Denkenden. Trotz dem verhängnisvollen Potential, trotz allem Unrecht im Inneren wie im Äußeren, bildet sie im Augenblick noch eine Insel, räumlich und zeitlich, deren Ende im Ozean der Gewaltherrschaft auch das Ende der Kultur bezeichnen würde, der die kritische Theorie noch zugehört." Marcuse hält dagegen: "Ich sehe im Amerika heute den historischen Erben des Faschismus. Die Tatsache, daß die Konzentrationslager, die Morde, die Folterungen außerhalb der Metropole stattfinden (und meist Schergen anderer Nationalität überlassen werden) ändert nichts am Wesen. Was in Vietnam geschieht, sind Kriegsverbrechen und Verbrechen an der Menschheit." Daß die Verteidigung der westlichen Welt für Horkheimer zur Not auch einen Weltkrieg einschloß, machte er in persönlichen Notizen nach dem Einmarsch des Warschauer Paktes in der CSSR im August 1968 deutlich: "Nach der Besetzung der Tschechoslowakei war die einzige Chance, die Freiheit zu retten, eine gemeinsame Kriegserklärung der ganzen westlichen Welt an Rußland. Es ist die Schande des Westens, daß er überhaupt nichts getan hat und nichts tut als ein paar leere Deklamationen." Same procedure as every year: Die Nazifizierung des Kriegsgegners ist nicht erst heute, sondern schon seit Jahrzehnten ein wohlfeiler Propagandatrick � egal ob es gegen einen nationalistischen Diktator wie Saddam Hussein, einen Sozialdemokraten wie Slobodan Milosevic oder einen Kommunisten wie Ho Chi Minh geht. Verblüffend nur, daß immer noch Linke darauf hereinfallen. Der Briefwechsel findet sich in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Band 18, Frankfurt/Main 1996 Der Afro-Look von Angela Davis Auf Vermittlung von Herbert Marcuse nahm im September 1965 die aus dem US-Bundesstaat Alabama stammende Studentin Angela Davis in Frankfurt/Main ein Philosophiestudium auf. Aufgrund ihrer Hautfarbe findet sie wochenlang keine Wohnung. Danach kann sie in einer Art Wohngemeinschaft ein Zimmer in einem abbruchreifen Gebäude beziehen. Angela Davis, die bereits als Bürgerrechtsaktivistin tätig war, schließt sich dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund SDS an und beteiligt sich im Februar Jahre 1967 an einer Demonstration vor dem US-Generalkonsulat in Frankfurt, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Dabei blockiert sie kurzfristig Straßenbahnschienen. Später wird dieser Protest in einer Aktenotiz des US-Generalkonsulates als "Haß gegen die Weißen" interpretiert, der als eine "Triebkraft ihres Handelns" verstanden werden müsse. Unter dem Eindruck der Aufstände in den Schwarzen Ghettos und der Entstehung der Black-Power-Bewegung reist Angela Davis im August 1967 in die USA zurück, auch um an der University of California in San Diego bei Herbert Marcuse ihre Doktorarbeit zu schreiben. Im Juni 1968 wird sie Mitglied der Kommunistischen Partei der USA. Ihre Zulassung als Universitätsdozentin muß sie gegen eine vom damaligen kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan initiierte Kampagne gerichtlich durchsetzen. Im August 1970 dringt Jonathan Jackson mit Gewehren bewaffnet in einen Gerichtsaal in San Francisco ein, um drei schwarze Angeklagte, die im Gefängnis von San Quentin Straftaten begangen haben sollen, zu befreien. Diese Aktion endet in einem Blutbad, und es wird festgestellt, das Jackson als Leibwächter von Angela Davis fungiert hat und zwei der von ihm benutzten Waffen von ihr gekauft worden waren. Sofort wird gegen sie ein Haftbefehl erlassen, und ab dem 19. August ist sie auf der Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher. Ihr Steckbrief trägt den Zusatz "gefährlich und wahrscheinlich bewaffnet". Zwei Monate später wird Angela Davis in New York verhaftet, und gegen sie wird Anklage wegen "Verschwörung, Entführung und Mord" erhoben. Überall in den USA, aber auch in Frankfurt bilden sich Solidaritätsgruppen zur Befreiung von Angela Davis. Aus dem Zeitraum zwischen Verfolgung, Verhaftung und Gerichtsprozeß dürfte auch das hier dokumentierte Plakat stammen. Es war Teil einer Wandzeitung, die vom Angela-Davis-Solidaritätskomitee herausgegeben wurde, dessen Kontaktadresse das Sozialistische Büro in Offenbach war. Das Plakat wurde zum heute kaum noch glaublichen "Solidaritätspreis" in Höhe von "DM 0,20" verkauft. Es zeigt Angela Davis, vor sich irgendwelche Papiere, die eine Ansprache an ein Publikum zu halten scheint. Die Augen blicken etwas nach oben und eröffnen dadurch einen Horizont. Der Eindruck des Gesichts wird durch die auffallende, damals "Afro-Look" genannte Frisur, hervorgehoben. Aus dem Abstand von drei Jahrzehnten betrachtet, ähnelt diese Darstellung Plakaten, die zur Solidarität mit dem in der Todeszelle sitzenden Mumia Abu-Jamal aufrufen. Auch bei ihm dienen Gesicht und seine auch hierzulande bei meist jüngeren Linken angesagte Rastafrisur als zentrale Bildmotive. Aus der Perspektive einer Solidaritätsbewegung dienen solche Darstellungen einer Person immer dem Ziel, sie dem von der staatlichen Repression gewollten Unsichtbarmachen zu entreißen. Nicht zuletzt dem auch von Offenbach aus geleisteten Engagement der internationalen Solidaritätsbewegung für die Freiheit von Angela Davis ist es zu verdanken, daß sie am 4. Juni 1972 nach 13 Verhandlungswochen von einem Schwurgericht in der kalifornischen Stadt San José von allen Anklagepunkten freigesprochen wurde. Schon wenige Wochen später feierte Angela Davis ihren Freispruch auch in Berlin (Hauptstadt der DDR) zusammen mit Erich Honecker. 09.07.2003, Feuilleton Hort und Hütte Jürgen Roth Derzeit wird das Adornojahr gefeiert. Dafür gibt es Gründe. Warum aber feiert man nicht auch das Heideggerjahr? Adornos großer Konkurrent, dem der Frankfurter das Buch "Jargon der Eigentlichkeit" widmete, begeht gleich drei Jubiläen: 1913 promovierte Heidegger über "Die Lehre vom Urteil im Psychologismus", 1923 übernahm er eine Professur in Marburg, und 1933 trat Heidegger in die NSDAP ein, um sofort auch noch Rektor der Universität Freiburg zu werden. Jede Gesellschaftsschicht hat den ihr zugeordneten Raum", schrieb Siegfried Kracauer in den dreißiger Jahren ("Straßen in Berlin und anderswo"). "So gehört zum Generaldirektor jenes neusachliche Arbeitszimmer, das man aus Filmen kennt, die ihr Original oft nicht einmal erreichen." Zum Philosophen, der zweifelsohne der Gesellschaft angehört, obwohl er im Gefolge Platons meint, über jener zu stehen und sie dirigieren oder infiltrieren zu können, gehört, neben dem Sprechzimmer an einer deutschen Universität, die Holzhütte. Eine solche abgeschiedene Behausung ist dem tatsächlichen gesellschaftlichen Einfluß des deutschen Philosophen angemessen, letztlich. Außerdem wendet sie die geistige Physiognomie des Philosophischen ins Faßbare, in die gestaltete Entäußerung des handgreiflich Baulichen. Die Hütte manifestiert und materialisiert das Hölzerne, das Hohle, das Morsche, das Ungeschliffene, Plumpe und ausgestellt Archaische dieses sogenannten Denkens, dieses permanenten peinlichen Denkversuchs, der zu nichts führt, weil er ab ovo, von seinen Anfangs- oder Grundbedingungen her bodenlos ist und deshalb auf den Feld- und schließlich auf den Holzweg führt. Der Generaldirektor dirigiert, der deutsche Philosoph sinniert. Er sitzt vor seiner Holzhütte und tut so, als sei das, was er denkt, wert, ein Denken genannt zu werden. Es ist allerhöchstens ein angedachtes Denken, ein angetäuschtes Denken, ein Denken, das blendet, so sehr verblendet, daß selbst ein Philosoph, der ein Denker der Gesellschaft oder des Gesellschaftlichen genannt zu werden verdient, die kleine Universitätsstadt verläßt und zur Hütte dieses sogenannten Denkers pilgert; daß dieser Philosoph sogar im Winter in diesem widerlichen schwarzwäldlerischen Berggewarzel auf Skiern losstapft, um in diese verhockte Hütte in Todtnauberg zu gelangen, in der dieser Philosophennarr herumgammelt und seinen Klafterschmarren zusammendenkt in seinem deutschen Heideggerhirn. Das war in den zwanziger Jahren, und es war Herbert Marcuse, der Heidegger in seiner Hütte aufgesucht hatte, diesen, wie es der Musikwissenschaftler Reger in Thomas Bernhards Roman "Alte Meister" sagt, "lächerlichen nationalsozialistischen Pumphosenspießer". Nach 1945 wußte es wenigstens der ehemalige alliierte Nachrichtenoffizier Marcuse besser und nannte Heidegger, seinen Lehrer, das, was er war: einen Nazi. Der Rest dieser sogenannten deutschen Philosophen machte freilich genauso weiter und dachte, wenn er überhaupt mal gedachte, irgend etwas zu denken, immerzu und ausschließlich in Richtung dieser Hütte oberhalb des Dorfes Todtnauberg im deutschen Schwarzwald. "Heidegger, dem die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen nachgelaufen sind und den sie mit widerwärtigen und stupiden Doktorarbeiten überhäuft haben schon zu Lebzeiten, sehe ich immer auf seiner Schwarzwaldhausbank sitzen neben seiner Frau, die ihm in ihrem perversen Strickenthusiasmus ununterbrochen Winterstrümpfe strickt mit der von ihr selbst von den eigenen Heideggerschafen heruntergeschorenen Wolle", sagt Reger. Wo Heidegger gewohnt habe, wo diese Hütte sei, hatten wir einen etwa neunzig Jahre alten Mann gefragt, der uns auf dem Martin-Heidegger-Weg in Todtnauberg entgegengekommen war. Na, der Heidegger! hatte der Mann gerufen, den habe er ja auch noch gekannt, wie alle hier, das sei ganz einfach, zum Heidegger, ans Ende des Weges solle man gehen, und dann gehe es bloß noch die Wiese hinauf. Die Holzbank vor der Holzhütte des Meisterdenkers ist unbequem. Sie ist gewissermaßen lächerlich, lächerlich unbequem, denn nur, wer unbequem sitzt, kommt auf Gedanken, die immer wieder auf denselben Denkwegen ausgelatschten Banalitäten des deutschen Innen- und Scheindenkens. Kein Wunder, daß ein anderer großer Hitlernachdenker eines großen großdeutschen sogenannten Magazins einmal hierher kam und das denkbar lächerlichste Interview mit diesem Heideggerdenker zusammenschmarrte und sich dabei von seinem Fotografen auf schwarzweißen Filmen bannen ließ, sehr denkerisch den Feld- und dann den Holzweg an der Seite seines Heidegger entlangstiefelnd, beide die denkenden Arme hinter dem Rücken verschränkt, so daß man das denkende Gesicht des Denkers und das Gesicht des mitdenkenden Journalisten, nicht zu Gesicht bekam. Die Stirnfurchen waren aber sicher noch tiefer als die Ackerfurchen in diesem Schwarzwald. Nun, Reger, weiß noch genauer dies: "Selbst ein berühmter und gefürchteter norddeutscher Zeitschriftenherausgeber kniete andachtsvoll vor ihm mit offenem Mund, als erwartete er in der untergehenden Sonne von dem auf seiner Hausbank sitzenden Heidegger sozusagen die Geisteshostie." So wie diese beiden deutschen Geistesnieten saßen wir auf dieser erbärmlichen Holzbank und dachten, daß man sich jetzt etwas denken müsse oder doch wenigstens so tun sollte, als denke man sich etwas zusammen. Es ging nicht. Wir gingen und verließen diesen entsetzlichen Ort, diesen Hort des deutschen Denkens, und fuhren zur Schwarzwaldklinik im Glottertal. Da war die Luft klarer, geistig weniger verdreckt, und wir dachten, daß Reger vielleicht das letzte Wort behalten sollte: "Heidegger in seiner verfilzten Pumphose vor dem verlogenen Blockhaus in Todtnauberg ist mir nur mehr noch als Entlarvungsfoto übriggeblieben, der Denkspießer mit der schwarzen Schwarzwaldhaube auf dem Kopf, in welchem ja doch nur immer wieder der deutsche Schwachsinn aufgekocht worden ist." "Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse zustande gebracht, die sich ohne störende Dazwischenkunft des Bewußtseins in ihm ausdrücken", schrieb Kracauer. Daß sich im Deutschen Ort auf Hort reimt, zeigt an, welches gesellschaftliche und welches philosophische Bewußtsein sich in einer Hütte ausdrückt, an der sich nie jemand störte. Es wird doch in deutschen Dörfern sonst gerne abgerissen. |